Heiß
mit Eiswürfeln gefüllt waren. Über allem wölbte sich ein wolkenlos blauer Himmel.
»Ich muss gestehen, dass ich beeindruckt bin«, räumte die alte Dame ein, nachdem sie sich an den Tisch gesetzt und die Aussicht auf den Park mit seinen alten Bäumen und Rosenbeeten bewundert hatte. Zwei Gärtner mit breitkrempigen Sonnenhüten waren damit beschäftigt, neue Spaliere in den Beeten aufzustellen. »Diese Pyramide muss außerordentlich wichtig für Sie sein. Sie widmen ihr und damit auch mir eine Menge Ihrer Zeit.«
»Nicht nur Zeit«, korrigierte sie Konstantinos, »sondern auch eine Menge Geld und Anstrengungen.« Er lächelte kalt. »Aber das ist nicht so wichtig.«
Dann legte er das dünne Buch auf den Tisch und breitete die Damastserviette über seinen Schoß. »Manchmal kommt einem der Zufall im Leben zu Hilfe. So war es auch diesmal. Wie Sie vielleicht in der Bibliothek gesehen haben, war schon mein Vater ein Sammler von Lebenserinnerungen und Tagebüchern. Er kaufte sie aus Nachlässen und ersteigerte sie bei Auktionen, durchstreifte Flohmärkte und ließ Antiquare danach suchen.«
»Gab es einen Grund für diese Leidenschaft?«, fragte Siegberth.
»Er erzählte mir einmal, dass für ihn diese meist handgeschriebenen Berichte die unmittelbarste Form der Teilnahme an fremdem Leben sei«, antwortete der Grieche und schenkte seinem Gast ein Glas Orangensaft ein. »Sie müssen wissen, mein Vater bereute bis zu seinem Tod, nur ein Leben zu haben. Er war ein neugieriger Mensch, wissbegierig und stets auf der Suche nach neuen Erkenntnissen. Obwohl er seltene Bücher liebte und sie wie besessen sammelte, legte er noch größeren Wert auf die Tagebücher. Er las oft wochenlang nichts anderes. Da er acht Sprachen beherrschte, musste er keines der Werke transkribieren lassen. So genoss er, dass wohl die meisten der persönlichen Dinge, die in den Aufzeichnungen standen, keiner außer ihm und dem Verfasser jemals gelesen hatte.«
»Das kann ich verstehen«, gab die Wissenschaftlerin zu, »mir geht es genauso. Es bedeutet, an die Wurzeln der Information zurückzugehen: die ganz persönlichen Erlebnisse.«
»Sie hätten sich gut mit ihm verstanden«, bemerkte Konstantinos. »Wie auch immer, ich habe diese Sammlerleidenschaft nach seinem Tod ganz in seinem Sinne weitergeführt. Wenn es mir auch meine Tätigkeit in den Familienunternehmen nicht erlaubt, nur in persönlichen Aufzeichnungen zu schmökern, so lese ich doch hin und wieder in den Neuerwerbungen, die mir von Antiquaren aus aller Welt zugeschickt werden. So war es auch in diesem Fall. Aber bitte greifen Sie zu.«
Ein Bediensteter hatte eine große Platte mit mehreren Fischspezialitäten in die Mitte des Tisches gestellt, daneben Teller mit Beilagen. Dann hatte er sich wieder zurückgezogen.
»Ich hoffe, es ist in Ihrem Sinne, wenn wir unser Mittagessen ohne ständige Störung durch das Personal genießen«, sagte der Hausherr. »Dann können wir ganz offen sprechen.«
Siegberth neigte gnädig ihr Haupt, und Konstantinos hatte für einen Moment den Eindruck, er diniere mit der englischen Königin. Er wies auf das Buch, das aussah wie ein sehr dickes Schulheft.
»Dieses Tagebuch habe ich von einem Händler erhalten, der bereits meinen Vater gekannt und ihn regelmäßig mit seltenen Büchern und Dokumenten versorgt hat«, fuhr er fort. »Ein kleiner Antiquar aus dem Pariser sechsten Arrondissement, aus St. Germain des Prés. Er schrieb mir eines Tages in einer E-Mail, dass er eine Schachtel mit Fotos, Briefen und Aufzeichnungen bei einer Wohnungsräumung in einem Pariser Vorort gefunden habe. Der Mieter des kleinen Apartments, ein pensionierter Ingenieur und Konstrukteur, der nach dem Krieg bei Peugeot gearbeitet hatte, war hochbetagt gestorben. Er hatte sich bis zuletzt geweigert, in ein Heim zu gehen, und so vermisste den alten Mann niemand, als er friedlich einschlief und nicht mehr aufwachte.«
»Ein Tod, den wir uns alle wünschen«, warf Siegberth ein. »Sie haben die gesamte Schachtel erworben?«
Konstantinos ignorierte die Zwischenfrage geflissentlich. »Man fand ihn erst nach zwei Wochen, und weil es keine Nachkommen oder Verwandte mehr gab, entschied das Amtsgericht, sein Hab und Gut zu verkaufen und die Wohnung zu räumen. Das Erbe fiel an den französischen Staat.«
»So kamen Sie an seine Aufzeichnungen«, fasste die Wissenschaftlerin zusammen.
»Nicht ganz«, wehrte Konstantinos ab und schob ihr das Tagebuch über den Tisch zu. »Wenn Sie
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