Heiß
»Hier braut sich etwas zusammen, und ich bin genauso ratlos wie Sie.«
Llewellyn schwieg weiterhin, überholte einen roten Stadtbus und drei langsam fahrende Lieferwagen, beschleunigte bis weit über die legalen dreißig Meilen pro Stunde und beobachtete aufmerksam, ob ihnen jemand folgte. Doch kein anderes Auto scherte aus, niemand setzte sich an ihre Fersen.
»Falsche Richtung!«, stellte Finch alarmiert fest, nachdem er die Namen der Querstraßen gelesen hatte. »Wenn wir hier weiterfahren, dann kommen wir in die City.«
»Das hoffe ich doch«, knurrte Llewellyn und überholte nochmals, schaltete in den vierten Gang und nutzte die freie Straße, um neuerlich zu beschleunigen.
»Ich dachte, wir sollten so rasch wie möglich raus aus London?« Finch warf dem Major einen fragenden Blick zu. »Und wenn du weiterhin so rast, dann zieht uns die Polizei aus dem Verkehr. In einem Audi, der uns nicht gehört, für den wir keine Papiere haben, sondern nur einen Schlüssel. Apropos – hast du deinen Führerschein dabei?«
»Sogar meinen Waffenpass«, antwortete der Major kurz angebunden, während er nach etwas Ausschau hielt. Plötzlich bremste er und bog ohne zu blinken links ab, rollte durch ein offenes Tor in eine kleine Allee, über der Platanen ein dichtes grünes Dach bildeten. »St Pauls School« und »Colet Court« stand auf einem Schild.
»Ich bin hier ein paar Jahre lang zur Schule gegangen«, erklärte Llewellyn, »und noch immer Mitglied im sogenannten ›Old Pauline Club‹. Zeit für einen Kriegsrat auf sicherem Territorium.«
Am Ende der Allee bog er rechts ab. Hohe graue Gebäude erhoben sich vor ihnen, ein riesiger Komplex, der sich bis zum Ufer der Themse erstreckte und auf beiden Seiten von Wiesen und Sportplätzen eingerahmt war.
Llewellyn fuhr bis an den Rand der Grünfläche, stellte den Audi auf einem gekiesten Parkplatz ab und stieg aus. »Eine der ältesten Schulen Londons, 1509 von John Colet gegründet und ein Symbol für britische Beständigkeit und Tradition.« Er wies auf den von Bäumen gesäumten Rasen, der die Größe von vier oder fünf Fußballfeldern hatte. »Hier sehen wir jeden Verfolger, lange bevor er uns gefährlich werden kann. Kein Lauschangriff, kein überraschender Überfall möglich. Der perfekte Platz. Kommt, gehen wir eine Runde spazieren.«
Er versenkte die Hände in die Taschen seiner Jacke, lehnte sich gegen den Nordwind, der von der Themse her kam, und marschierte los, gefolgt von Salam und Finch.
Drei große Kreise mit einem Durchmesser von je achtzig Meter waren in den Rasen gezogen worden, in deren Mitte sich Kricket-Abschlagplätze befanden. Weit und breit war niemand zu sehen. Nur der Verkehrslärm von der nahen Hammersmith-Brücke tönte bis zu den drei Männern, die, angeführt von Llewellyn, den mittleren Kreis ansteuerten.
»Ab sofort nimmt niemand mehr ein Telefongespräch an, im Gegenteil. Wir schalten alle unsere Handys aus. Jetzt!« Llewellyns Ton duldete keinen Widerspruch.
»Aber Fiona …«, versuchte Finch einen Einwand.
Der Major schüttelte nur den Kopf. »Wir werden verschwinden, vor den Augen aller, wie damals der große Houdini. Spurlos, unerklärlich.«
»Aber weshalb?« Chief Inspector Salam blickte Llewellyn müde an. »Ich habe Pakistan nicht verlassen, um kurz nach meiner Ankunft erneut auf- und davonzulaufen. Ihr Plan hat funktioniert. Das hier ist London, England. Ich bin erschöpft und hungrig, aber in Sicherheit. Warum fahren wir nicht einfach in ein Hotel und sehen morgen weiter?«
»Weil etwas eingetreten ist, das offenbar weder Peter noch ich bedacht haben«, gab Llewellyn leise zurück. »Es war so unwahrscheinlich, dass wir es nicht einmal im entferntesten in Betracht gezogen haben. Peter Compton hat es geahnt, als die Agenten des Secret Service vor der Tür standen. Tut mir leid, aber wir haben Sie vom Regen in die Traufe gebracht.«
Salam runzelte die Stirn. »Vom Regen in die Traufe?«, wiederholte er ratlos.
Das war der Moment, in dem Finch mit einem Mal verstand. Er hörte wieder die Stimme des alten Mannes in Alexandria, sein eindringliches Flüstern: »Der Teufel lässt dich nicht mehr gehen, wenn er einmal gegen dich verloren hat. Denn am Ende, am Ende gewinnt er immer.«
»Es waren die Engländer«, zischte er und fasste nach Salams Arm. »Natürlich! Der Secret Service war es, der die ISI um Hilfe gebeten hat. Die waren es, die ein Team in den Hindukusch geschickt haben, in ihr altes Kolonialreich. Die waren
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