Heiß
am Kai sah ihm nach, niemand winkte. Lorient bereitete sich auf die bevorstehende Ankunft der Deutschen Wehrmacht vor.
Die ersten weißen Fahnen flatterten bereits in den Fenstern.
Nur ein einsamer Beobachter stand an der Reling der Victor Schoelcher und sah nachdenklich auf die leeren Hafenanlagen, die langsam zurückblieben. Das Schiff vibrierte unter der Last der Motoren, und der schmächtige, kleine Mann hielt sich mit einer Hand fest, während die andere unter seinem leichten Sommermantel ein Amulett umklammerte. Besorgt blickte er zum Himmel.
Aus der Ferne ertönte bereits der Motorenlärm der nächsten anfliegenden deutschen Bomberstaffel.
Flugfeld La Ferté-Alais, 60 km südlich von Paris/Frankreich
In einer sonoren Klangwolke der drei BMW -Triebwerke schwebte die Ju 52 majestätisch über einen kleinen Wald und senkte sich gemächlich auf die Landepiste. Amber zog die drei Gashebel zurück und setzte das historische Flugzeug seidenweich auf die unbeleuchtete Graspiste des Aérodrome Jean-Baptiste Salis.
»Bilderbuchlandung«, beglückwünschte Finch die Pilotin. »Du hättest mich überhaupt nicht gebraucht.«
»War trotzdem schön, wieder mal mit dir zu fliegen«, gab Amber zurück. »Die alten Zeiten sind schon so lange her, dass ich sie fast vergessen habe. Gegen unsere gemeinsamen Abenteuer in Kairo war alles, was danach kam, nur mehr bürgerliche Langeweile.«
»Ich weiß, aber damals haben wir jede Kerze an beiden Enden angezündet«, erinnerte sie Finch. »Wir sind immer am Limit geflogen und manchmal auch drüber hinaus. Und wir hatten verdammt viel Glück, dass es jedes Mal gutgegangen ist. Unser Schutzengel war glücklicherweise immer schneller als wir. Aber einmal, einmal geht es schief, wie du weißt. Du warst oft genug dabei. Wie lange wäre es tatsächlich gutgegangen? Über kurz oder lang wären unsere Namen auf der Liste der in Afrika vermissten Piloten gelandet.«
»Trotzdem war es die glücklichste Zeit meines Lebens«, gab Amber zurück und ließ die Ju52 vor einem der kleinen Hangars ausrollen, bevor sie die Benzinzufuhr kappte und die Zündung abstellte. »Aus unserem kleinen, aber eingeschworenen Haufen von Abenteurern wollte keiner mehr in ein normales Leben zurückkehren.«
»Und die wenigsten gingen tatsächlich zurück. Du warst eine Ausnahme.« Finchs Stimme hatte einen weichen Unterton. Er schnallte sich los. »Das Virus Nordafrika hatte uns gepackt, die Weite der Wüste und die grenzenlosen Möglichkeiten. Die Liebe zur Freiheit und die Unbekümmertheit der Jugend kamen dazu. Wer wollte schon Routine und Alltag? Afrika bot jeden Tag ein neues Abenteuer, und wenn eines vorbei war, dann bog schon das nächste um die Ecke.«
»Manchmal wollte ich, ich wäre geblieben«, meinte die Pilotin leise. »Wegen mir, wegen dir, wegen uns …«
Finch schaute in die Ferne, in eine Vergangenheit, die nur er sah. Amber und er waren lange Jahre ein Paar gewesen, glücklich zwischen dem Cockpit und einem Hotelzimmer im Continental-Savoy, zwischen einer unsicheren Zukunft und der Verweigerung der Bürgerlichkeit. Doch irgendwann war aus der Liebe Freundschaft geworden, aus der Kür die Pflicht. So hatte Amber eines Tages ihre Koffer gepackt und das afrikanische Abenteuer und damit auch John Finch hinter sich gelassen, war zurück nach England gegangen und hatte versucht zu vergessen.
»Das hättest du wahrscheinlich nicht lange überlebt«, gab Finch schließlich zurück. »Mach dir keine Illusionen. Auch ich bin gegangen, später als du, Amber, aber am Ende doch. Von der alten Clique ist keiner mehr übrig, außer uns beiden. Wer nicht in der Wüste blieb, wer nicht einmal zu oft in Krisenherde flog und dann irgendwo zwischen Casablanca und Kapstadt verschwand, der wurde krank oder brachte sich um. Wieder andere unter uns wechselten in den Revolutionen einmal zu oft die Seiten, fielen Guerillas in die Hände, die ein Flugzeug brauchten und danach die Piloten beseitigten.«
Finch schüttelte den Kopf und fädelte sich aus dem Co-Pilotensitz. »Der Job war lebensgefährlich, auch wenn wir es jeden Tag verdrängt haben. Du hast das einzig Richtige getan.«
»Ich bin zwar zurück nach England gegangen«, meinte Amber und legte Finch ihre Hand auf den Unterarm, »aber je älter ich werde, umso öfter denke ich an damals zurück und frage mich, ob es wirklich der richtige Schritt war. Würde ich heute sterben, woran würden sich die Menschen erinnern, wenn sie an mich denken? An die
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