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Heiß

Heiß

Titel: Heiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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Hafens, wo sie unter freiem Himmel gestapelt wurden wie die Klötze eines überdimensionalen Steinbaukastens. Gruppen nervöser Soldaten patrouillierten schwer bewaffnet, sperrten die Kais und beteten zum Himmel, dass sie diesen Einsatz überleben würden.
    Doch vom Himmel kam das Verderben.
    Die vorrückenden deutschen Truppen, nur mehr weniger als hundert Kilometer entfernt, hatten Rennes eingenommen und flogen immer wieder aufs Neue Angriffe auf den wichtigsten Hafen im Westen Frankreichs. Das Pfeifen der fallenden Bomben, die Explosionen und das Rattern der Maschinengewehre der Stukas untermalten die Transporte, die nur für wenige Minuten ins Stocken gerieten, bevor sie wieder aufgenommen wurden.
    Es war keine Zeit zu verlieren.
    Fregatten-Kapitän Moevus stand seit Stunden auf der Brücke des Hilfskreuzers Victor Schoelcher und beobachtete den Fortgang der Verladung. Vor einigen Stunden hatte die Nacht endlich gnädig ihr schwarzes Tuch über den Hafen von Lorient gelegt, und die deutschen Luftangriffe hatten aufgehört. Doch die Transporte waren immer weitergegangen, Kiste um Kiste hatte der riesige Kran in den Bauch des Hilfskreuzers gehievt.
    Moevus klopfte mit den Handflächen ungeduldig auf die Reling. Er lebte noch, und sein Schiff schwamm noch, doch im Osten würde bald der neue Tag heraufziehen, und dann wären ihre Stunden gezählt.
    »Die Deutschen haben die Gewässer vor dem Hafen vermint.« Sein Erster Offizier, eine Liste in der Hand, trat neben ihn und sah auf den Rest des Stapels am Kai, der bis auf ein paar Kisten fast völlig verschwunden war.
    »Das war zu erwarten«, antwortete Moevus. »Wir haben viel zu lange geladen. Diese verdammten Kisten wurden und wurden nicht weniger.«
    »Bisher mehr als tausend Stück«, murmelte der Erste Offizier und konsultierte seine Listen. »Bleiben noch neun Stück an Land.« Er schaute auf seine Uhr. »Fast zwei Uhr früh. In spätestens einer halben Stunde sollten wir die gesamte Fracht an Bord in den Laderäumen verzurrt haben und können auslaufen.«
    »Ihr Wort in Poseidons Ohr.« Moevus spuckte ins Wasser. »Dieses Mal brauchen wir all unser Glück, sonst wird die Schoelcher die Reise nicht überleben. Und wir auch nicht.«
    »Hier sind die Unterlagen, gegengezeichnet vom Admiral Penfentenyo, vom Direktor der Bank von Frankreich und dem polnischen Beauftragten, Herrn Michalski.« Der Erste Offizier hielt Moevus das Dokument und eine Füllfeder hin. »Fehlt nur noch Ihre Unterschrift, Commandant.«
    Moevus überflog die Zeilen im Licht der Brückenbeleuchtung. »Stimmt die Anzahl der Kisten?«
    »Ja und nein«, gab der Erste Offizier zurück. »Insgesamt sind es 1208 Kisten, die verladen wurden und die in diesem Dokument festgehalten werden. Aber …«
    Der Kapitän blickte auf. »Ja?«
    »Ein Lkw brachte am Nachmittag weitere einundreißig Kisten aus Paris«, informierte der Offizier Moevus. »Zumindest behauptete das sein Fahrer, der die Frachtdokumente vorlegte. Die Anzahl jedenfalls stimmte, was allerdings Paris betrifft …« Er zuckte mit den Schultern und deutete auf einen Schatten, der unbeweglich auf dem Kai stand und die Schoelcher fixierte. »Dieser Mann da drüben begleitete den Transport. Er hatte einen Brief dabei, den ich Ihnen geben soll.«
    »Warum informieren Sie mich erst jetzt davon?« Moevus ergriff das Schreiben und riss das Kuvert auf, ohne seinen Ersten Offizier aus den Augen zu lassen.
    »Weil er es mir erst vor wenigen Minuten ausgehändigt hat«, antwortete der Seemann und zuckte mit den Schultern.
    »Wo sind die Kisten?«, erkundigte sich Moevus, während er den Brief entfaltete. Ein Siegel ganz oben auf dem Bogen sprang ihm ins Auge, ein Siegel, das ihm bekannt vorkam.
    »Bereits verladen«, meldete der Erste Offizier und fügte entschuldigend hinzu: »Der Transportbefehl war …«
    Der Kapitän unterbrach ihn mit einer Handbewegung und bedeutete ihm, still zu sein. Für einen Moment waren nur das Quietschen des Hafenkrans und die Wellen, die gegen die Kaimauer klatschten, zu hören. Moevus las, und las noch einmal. Dann faltete er das Schreiben wieder zusammen und versuchte, mit zusammengekniffenen Augen die Dunkelheit zu durchdringen. Der Schatten stand noch immer bewegungslos am Kai, im gelblichen Licht einer einzelnen Lampe, nahe dem Heck der Victor Schoelcher.
    Mit einem seltsamen Ausdruck, den der Erste Offizier nicht deuten konnte, nickte der Kapitän schließlich. »Es ist gut, lassen Sie ihn an Bord gehen und

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