Heiß
Transportflugzeuge es, in Nachteinsätzen das Gold nach Marseille zu fliegen, wo deutsche Soldaten den riesigen Goldschatz beschlagnahmten und ihn nach Berlin brachten. Hitler hatte einen Teilsieg errungen. Im Mai 1942 waren auch die letzten belgischen Goldkisten bei der deutschen Reichsbank in Berlin angekommen. Die mit belgischen Hoheitszeichen versehenen Barren wurden eingeschmolzen, neue Barren gegossen und mit dem Reichsadler versehen. Das belgische Gold hatte aufgehört zu existieren.«
»Ich vermute, es ging den üblichen Weg?«, warf Siegberth ein.
»Selbstverständlich.« Konstantinos nickte. »Die Barren wurden als deutsche Vorkriegsbestände ausgegeben, etwas später in die Schweiz gebracht, wo die eidgenössischen Banken nicht viel fragten. Sie tauschten die dubiose Lieferung in gute, ehrliche Devisen um, in neutrale Geldscheine ohne Vergangenheit, wie all die anderen Jahre auch.«
»Sagen wir, die Banken arbeiteten damals Hand in Hand«, ergänzte die Wissenschaftlerin. »Wenn ich mich recht erinnere, stellte die Reichsbank Schatzanweisungen zugunsten der belgischen Nationalbank in Höhe von mehr als achthundert Millionen Reichsmark aus.«
»Papiere, die nichts wert waren«, erwiderte der Grieche. »Die Belgier konnten niemals über diese Summe verfügen. Eine staatliche Augenwischerei, wie so oft.«
»Das belgische Gold war also aus Afrika verschwunden«, fasste Siegberth zusammen. »Die Übergabe des französischen und des polnischen Staatsschatzes wurde durch die Invasion der Amerikaner 1942 in Nordafrika verhindert.«
»Ja, er lag bis zum Kriegsende in Kayes, einer Garnisonsstadt nahe der Grenze, im heutigen Mali, an der Bahnlinie Dakar-Niger.« Konstantinos legte die Fingerspitzen zusammen und schaute über den Tisch der alten Wissenschaftlerin direkt in die Augen. Sein Blick war abschätzend und ein wenig spöttisch. Im Hintergrund zischten die Heizlampen wie eine Handvoll kleiner, aufgeregter Schlangen. »Danach wurde es an die rechtmäßigen Besitzerstaaten zurückgegeben. Es fehlte kein einziger Barren. Und nun sind Sie ratlos, nicht wahr? Ihre schöne Theorie des goldgierigen Geschäftsmanns ist gerade in sich zusammengebrochen.«
Siegberth wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie versuchte, Konstantinos’ Blick standzuhalten, aber es gelang ihr nicht.
»Verehrte Frau Professor, es geht um viel mehr in dieser Geschichte, als Sie glauben«, stellte der Grieche fest. »Der Nachtwächter von Siemens war nur ein kleines Opfer auf dem Weg zu Ruhm, Ehre und Macht. Macht – und vor allem Ruhm ist das, was mich antreibt. Geld? Bedeutungslos, wenn man es hat. Macht? Die Motivation von Politikern seit Tausenden von Jahren. Es ist wie eine Sucht, man kann nie genug davon haben. Doch sie ist vergänglich. Der Ruhm jedoch, der währt ewig.«
Er machte eine weitausholende Armbewegung. »Ein Grundstück in bester Lage, Millionen wert. Aber wie lange wird es mir gehören? Noch vierzig Jahre oder fünfzig. Und dann? Dann kommt der nächste und danach wieder jemand, und so geht es weiter. Ein Stück Erde, das wir vorübergehend besitzen. Aber Ruhm lebt noch länger als Besitz, Reichtum und Macht. Ist es bei Ihrem Ruf als Wissenschaftlerin nicht ebenso? Sollten Sie heute sterben, dann wird man sich trotzdem noch in zwanzig Jahren an Sie erinnern. Sie können also beruhigt abtreten.«
Er leerte seinen Champagnerkelch auf einen Zug, drehte ihn zwischen seinen Fingern und warf ihn schließlich mit aller Kraft auf die Stufen der Terrasse. Sein Lachen mischte sich in das Geräusch des zersplitternden Glases. »Cannotier hat das verstanden. Er hinterließ eine Botschaft für die Ewigkeit, doch wir haben sie entschlüsselt. Jetzt ist es an uns, das Beste daraus zu machen. Egal, ob es das Leben eines Nachtwächters, Ihres oder meines kostet. Und egal, was tatsächlich dahintersteckt.«
In diesem Augenblick hatte Siegberth zum ersten Mal tatsächlich Angst vor Konstantinos.
Und vor dem Tod.
9 . Juli 1940 , Adrar-Plateau/ Französisch-Westafrika
Sie hatten dreiundzwanzig Stunden für die Strecke bis aufs Adrar-Plateau gebraucht, weniger, als Majors befürchtet hatte. Allerdings waren sie auch ununterbrochen gefahren, selbst bei Nacht, und hatten lediglich zwischendurch kurze Pausen eingelegt. Trinken, essen, weiter.
Nun, am frühen Vormittag, erstreckte sich rund um sie die steinige Einsamkeit des Gebirges, so weit ihr Blick reichte. Nur vereinzelte Bäume oder Sträucher waren zu sehen, schmutzig-braun
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