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Heiß

Heiß

Titel: Heiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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und wieder verschwunden war.
    »Es gelang ihm, eine Anwaltspraxis zu eröffnen, die bald einen hervorragenden Ruf genoss«, fuhr Dr. Mokhtar fort. »Als ich das Lycée beendet hatte, schickte er mich zum Studium an die Sorbonne, dann in die Vereinigten Staaten. Nordafrika rückte immer weiter weg, aus unseren Köpfen und aus unserem Leben, unserem Bewusstsein. Wir taten unser Bestes, um perfekte Franzosen zu werden. Mit den Jahren wurden wir akzeptiert, aber nie integriert. Wir wurden immer die Pieds-noirs genannt, die mit den schwarzen Füßen …« Sie lächelte traurig. »Mein Vater heiratete nochmals, eine Pariserin, und bemühte sich, Algerien, meine Mutter und sein bisheriges Leben zu verdrängen. Ich blieb allein, arbeitete an verschiedenen internationalen Forschungsprojekten, und suchte vergeblich nach meinen Wurzeln, die ich doch schon lange verloren hatte. Freunde kamen und gingen, doch eines Tages heiratete ich schließlich doch, bekam eine Tochter, Sabina, wurde geschieden, wie die meisten. So vergingen die Jahre.«
    »Und als ich nach Südamerika ging …«
    »… kam ich endlich nach Ägypten zurück«, ergänzte die Wissenschaftlerin mit glänzenden Augen. »Mein Vater war 2001 gestorben, und so hielt mich nichts mehr in Frankreich, als ich bei einer Tagung der Unesco hörte, dass die neue Bibliothek von Alexandria 2002 eröffnet werden sollte. Ich bewarb mich und wartete. Drei Jahre später war endlich die Zusage da, ich packte die Koffer, sagte Paris adieu und kaufte mir ein Ticket nach Kairo. So kam ich an die Corniche und in das Manuskriptenmuseum.«
    »Und Ihre Tochter?«, erkundigte sich Finch.
    »Die haben Sie bereits kennengelernt«, schmunzelte Amina Mokhtar. »Oder wie, glauben Sie, habe ich erfahren, dass John Finch wieder im Lande ist? Sie arbeitet beim Immigration Department auf dem Flughafen in Kairo.«
    »Groß, schlank, dunkelhaarig, mit einem Wort, ein jüngeres Abbild ihrer Mutter und eine latente Versuchung aller braven muslimischen Männer?«, grinste Finch. »Dann weiß ich, von wem die Rede ist. Die Uniform steht ihr.«
    Er griff nach dem Maria-Theresien-Taler, betrachtete ihn nachdenklich und steckte ihn schließlich wieder ein. »Und jetzt lassen Sie uns essen und auf das Wiedersehen anstoßen. Wenn es sein muss, auch mit Orangensaft. Und dann erzählen Sie mir, warum Sie mich so dringend sehen wollten.«

Friedrichsruher Straße, Berlin-Steglitz/Deutschland
    Thomas Calis und Wilhelm Pannek quälten sich durch den beginnenden Feierabendverkehr auf dem Berliner Stadtring. Der altersschwache Opel Astra des Sicherheitschefs, in den Farben einer startbereiten V 2 -Rakete bemalt, kämpfte eher mit Temperaturproblemen als mit galaktischen Geschwindigkeitsexzessen und deren Ahndung durch die Polizei.
    »Jetzt und hier würden wir auch mit ’nem Lamborghini nich schneller stehen«, verteidigte Pannek sein Gefährt.
    »Schneller nicht, weniger aufregend schon«, erwiderte Thomas Calis und beobachtete besorgt die Nadel der Temperaturanzeige, die sich dem roten Feld bedrohlich näherte. »Noch zehn Minuten länger in dem Stau, und wir können unser Abendessen im Motorraum kochen.«
    »Ach wat«, winkte Pannek ab, »der hat schon anderes ausjehalten.«
    »Wie sind Sie eigentlich zu Ihrem Spitznamen Rakete gekommen?«, erkundigte sich der Kommissar wie beiläufig und kurbelte das Seitenfenster hinunter. Draußen roch es nach Abgasen und einer überhitzten Flüssigkeit, die langsam verdampfte.
    »Det is schon lange her«, antwortete Pannek und steckte sich eine Zigarette an. »Ick hab als Kind zu Weihnachten vor vielen Jahren so ’nen Revell-Baukasten bekommen, Se wissen schon – tausend Teile und keen Plan.« Er lachte. »Die Interkontinentalrakete vom Typ Titan  II samt Transportfahrzeug sah auf dem Deckel der Packung atemberaubend aus. Als ick dann mit Bauen fertig war, ähnelte se eher ’nem Knüppel mit Ausschlag.«
    Calis musste schmunzeln. »So viel zur Fingerfertigkeit.«
    »Aber ick war hartnäckig und damit hat allet anjefangen«, erinnerte sich Pannek, nutzte eine Lücke im Stau, wechselte die Spur und rollte in Richtung Ausfahrt Steglitz. »Heute habe ick hundertneununddreißig Modellraketen bei mir zu Hause stehen, in allen Jrößen, aus allen Ländern, aus allen möglichen Materialien. Und sogar ’nen echten russischen Raumfahrerhelm.«
    »Die Boden-Boden-Rakete, in der wir sitzen, atmet gerade auf«, kommentierte Calis mit einem Blick auf den Zeiger, der sich

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