Heiß
Flammen nur kurz stand. Als das erste Löschfahrzeug der Feuerwehr mit Blaulicht und Folgetonhorn in die Arolser Straße einbog, setzte sich das Gefährt auf der abschüssigen Straße in Bewegung und rollte bergab. Der völlig überraschte Fahrer sah den brennenden Anhänger auf sich zukommen, als er gerade um die Biegung kam. Verzweifelt riss er in letzter Sekunde das Lenkrad herum, konnte den Zusammenstoß jedoch nicht mehr verhindern, und so donnerte der Anhänger mit lautem Krach in die Seite des Feuerwehrwagens.
Durch den starken Aufprall klappten zwei der Ladebordwände weg, und Hunderte brennender Reifen ergossen sich in einer Feuerlawine auf die Fahrbahn. Sie sprangen über den Asphalt, rollten weiter, immer bergab, wie eine Flut von Flammenrädern direkt aus der Hölle.
Als die nächsten Löschfahrzeuge eintrafen, sah es in dem stillen Wohngebiet aus wie nach einem Bombenangriff. Feuer loderten an allen Ecken und Enden der Straße, Menschen schrien und liefen durcheinander, und die zuckenden Blaulichter erhellten die gespenstische Szenerie.
Der Bentley war bereits mehr als vier Kilometer von der Arolser Straße entfernt, als der Fahrer zwei riesigen Feuerwehrwagen Platz machte, die ihm entgegenkamen. Der Mann auf der Rückbank hatte trotz der zahlreichen Sirenen nicht ein einziges Mal aufgeblickt. Vorsichtig öffnete er den Metallzylinder, kippte ihn zur Seite und ließ eine schmale, spitze Glaspyramide aus dem Behälter rutschen. Sie funkelte im Licht der Innenbeleuchtung.
Als die Limousine wieder anrollte und in die Frankfurter Rothschildallee einbog, spielte ein zufriedenes Lächeln um seine Lippen.
Chitral, nordwestliche Grenzprovinz/Pakistan
Als Chief Inspector Shabbir Salam die Augen aufschlug, sah er sich verwirrt um. Es war noch dunkel, und die Umrisse des kleinen Raumes und seiner Möbel zeichneten sich nur schemenhaft im Licht eines Radioweckers ab, dessen Leuchtziffern knapp vor sechs Uhr morgens zeigten. Salam wusste im ersten Moment nicht, wo er war. Verzweifelt fuhr er sich mit beiden Händen übers Gesicht, versuchte krampfhaft, sich zu erinnern. Er hatte zu wenig geschlafen, ein paar Stunden vielleicht.
Aus dem Nebenraum ertönten leise Geräusche, das Klappern von Geschirr, eine gedämpfte Stimme.
Kala.
Der Chief Inspector atmete auf und nickte. Richtig. Kala hatte darauf bestanden, dass er die Nacht im Haus ihrer Familie verbringen sollte. Alle seine Einwände wegen der Gefahr und der möglichen Folgen waren von ihr und ihrem Vater mit energischem Kopfschütteln beantwortet worden. Der alte Bankdirektor hatte ihm tief in die Augen geschaut und nur gemeint: »Wenn wir jetzt schon aufgeben und vor der Gewalt zurückweichen, dann war alles, wofür wir in den letzten Jahrzehnten gekämpft haben, umsonst. Sie sind mein Gast, Chief, solange Sie wollen. Mein Haus ist Ihr Haus, und die Gastfreundschaft ist in unserem Land noch immer ein heiliges Gut. Meine Tochter hat richtig gehandelt.«
Damit hatte sich für ihn jede weitere Diskussion erübrigt.
Salam musste trotzdem verschwinden. Jede Minute länger, die er sich in Chitral aufhielt, war ein Risiko für jeden, der ihn beherbergte. Er stand auf und streckte sich, dann trat er ans Fenster und schob vorsichtig die Gardine zur Seite. Nichts rührte sich in der Dunkelheit der Straße, selbst die Schatten schienen noch zu schlafen.
Seine Uniform lag auf dem alten Lehnstuhl des Gästezimmers, daneben ein Morgenmantel, der wahrscheinlich Kalas Vater gehörte. Rasch schlüpfte er hinein und öffnete leise die Tür zum großen Zimmer. Auf dem langen Tisch in der Mitte des Raums schob Kala Teller und Tassen zurecht, ihre langen schwarzen Haare zu einem Zopf geflochten. Als sie Salam hörte, wandte sie sich um.
»Sie sind früh auf, Chief«, sagte sie besorgt. »Ich wollte Sie noch ein wenig schlafen lassen.«
»Alte Männer kommen mit wenig Schlaf aus«, winkte Salam ab. »Ich möchte noch vor Tagesanbruch aus dem Haus. Ich kann Ihnen gar nicht genug für das Nachtlager danken, aber jetzt müssen wir daran denken, den Schaden zu begrenzen und nicht noch mehr Unschuldige in die Sache mit hineinzuziehen. Allerdings …« Der Chief wies auf den Morgenmantel. »… brauche ich etwas zum Anziehen. In der Uniform komme ich wahrscheinlich nicht weit.«
Kala nickte etwas unglücklich. »Daran habe ich auch schon gedacht«, meinte sie schließlich. »Mein Vater hat zwar den Schrank voller Anzüge, aber damit fallen Sie genauso auf.«
Eines der
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