Heiße Höschen - Kaltes Blut
straffte er sich. »Unglücklicherweise hat ihr irgendein
Schwachkopf erzählt, Stingers machten nicht
betrunken, und sie hat ihm geglaubt. Jedesmal, wenn ich mich erkundigte, was
sie da trank, versicherte sie, es sei etwas Alkoholfreies; deshalb machte ich
mir keine Gedanken. Als ich endlich merkte, daß irgend etwas faul war, hatte der Alkohol schon seine Wirkung getan. Deshalb kamen wir auch
so spät nach Hause. Marcia weigerte sich rundheraus, das Restaurant zu
verlassen .« Langsam fuhr er sich durch das dichte
schwarze Haar. »Ich muß gestehen, es war schon ein wenig peinlich. Marcia
bestach die Band, damit sie noch über die Sperrstunde hinaus weiterspielten.
Der Geschäftsführer ging mit seinen Leuten nach Hause und ließ uns beide da
sitzen, allein mit den Musikern .«
»Sie machen sich nichts aus
Musik, Doktor ?«
»Ich liebe sie
leidenschaftlich, Mr. Boyd. Aber zu früher Morgenstunde allein in einem leeren
Restaurant zu sitzen und zuzusehen, wie die Dame einen wilden Can-Can auf dem
Tisch tanzt, entspricht nicht ganz meiner Vorstellung von Musikgenuß .«
»Das kann ich Ihnen nachfühlen,
Doktor«, sagte ich mitleidig. »Es muß eine anstrengende Nacht für Sie gewesen
sein .«
»Mr. Boyd...« Er hob den Kopf
und sah mir zum erstenmal gerade in die Augen. »Ich glaube, ich muß mich dafür
entschuldigen, daß ich Sie früher am Abend so verkannt habe .«
»Lassen Sie nur, Doktor«,
beruhigte ich ihn. «Das kann jedem passieren .«
»Aber nicht einem Psychiater!«
Schnell nahm er einen Schluck Bourbon. »Und bitte nennen Sie mich Paul .«
»Wenn Sie mich Danny nennen«,
konterte ich, um ihm in nichts nachzustehen. »Ich wollte Sie noch etwas fragen —
wegen Marcia .«
»Natürlich bin ich an meine
Schweigepflicht als Arzt gebunden«, sagte er brüsk. »Aber da Sie mit ihr
verlobt sind, kann ich Sie in diesem speziellen Fall wohl ins Vertrauen ziehen,
Danny .«
»Ich kenne Marcias
Lebensgeschichte in groben Umrissen«, begann ich bedachtsam. »Den tragischen
Tod ihrer Mutter, den tödlichen Sturz ihres Verlobten von diesem Balkon — hat
all dies sie in Ihre Sprechstunde gebracht, Paul ?«
Er nickte. »Neurosen
verschlimmern sich, bis sie endlich zu Psychosen werden — verstehen Sie? Jeder
leidet an irgendeiner Form von Neurose, und in einem gewissen Lebensabschnitt
kann sie die Oberhand gewinnen — aber das gefährdet nicht den Verstand, weil
der Patient sich seiner Neurose bewußt ist. Eine Psychose jedoch ist etwas ganz
anderes! Tiefer, gefährlicher, tödlicher. Die meiste Zeit über ist sich der
Patient gar nicht bewußt, daß er an einer Psychose leidet. Er ist überzeugt
davon, daß er sich normal verhält .«
»Könnten Sie etwas persönlicher
werden, Paul ?« fragte ich ohne viel Hoffnung. »Hat
Marcia eine Psychose ?«
Er nickte kurz. »Ja, die hat
sie. Aber ist sie sich dessen bewußt ?« Er krümmte den
Rücken wie ein überdimensionales Fragezeichen. »Manchmal ja — manchmal nein.
Als sie neu zu mir kam, saß die Psychose tief verwurzelt in ihr, und ich war
überzeugt, ein heftiges Trauma hatte sie heraufbeschworen. Doch dann später, je
weiter wir mit der Analyse vorankamen, desto zweifelhafter erschien mir meine
anfängliche These .«
»Ich will versuchen, das in der
Sprache des Laien auszudrücken, Paul«, sagte ich. »Bei ihren ersten Sitzungen
war sie in böser Verfassung, und Sie sahen die Ursache dafür in dem Schock über
den Tod ihres Verlobten — seinen Sturz von ihrem Balkon? Aber je mehr Sie sich
mit ihr beschäftigten, desto mehr Zweifel kamen Ihnen, ob der Schock über
diesen gewaltsamen Tod die einzige Ursache war ?«
»Das trifft es in etwa, Danny .«
»Haben Sie eine Vorstellung
davon, was die anderen Ursachen sein könnten — falls es solche gibt ?«
»Eine schwache.« Er trank sein
Glas mit einem schnellen Schluck leer und warf mir einen fast entschuldigenden
Blick zu. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich noch einen...«
»Aber keineswegs. Ich mache
Ihnen einen .«
»Es ist die Reaktion auf diese
anstrengende Nacht«, sagte er. »Obwohl ich in einem gewissen Stadium meine
eigenen verdammten Hemmungen verfluchte, die mich daran hinderten, zu ihr auf
diesen Tisch zu springen und mitzutanzen !«
Grinsend schob ich ihm das
frisch gefüllte Glas zu.
»Nur eine schwache Vorstellung,
sagten Sie ?«
»Manchmal analysiert man einen
Patienten von frühester Jugend bis zu seinem Tode und gelangt dennoch nicht zu
verbindlichen Schlüssen. Andererseits
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