Heißer als Feuer: Roman (German Edition)
Angesichts der Tatsache, dass sie keinen BH trug, wirkte diese Pose ungeheuer aufreizend. Das war Shay sonnenklar. Damit schubste sie ihre Brüste unter dem figurschmeichelnden Stoff hoch, die sich wie zwei reife Melonen unter dem dünnen T-Shirt abzeichneten. Im Nachhinein betrachtet, fand sie ihre Reaktion vielleicht etwas aufreizend, aber in diesem Moment war sie ausschließlich von dem teuflischen Wunsch beseelt, ihm auf den Nerven herumzutanzen. Und die lagen bei ihrem Stiefbruder offensichtlich schon ziemlich blank.
Scheinbar desinteressiert drehte Ian sich zum Küchenschrank und nahm einen frischen Kaffeebecher heraus. »Doch, aber ich stehe auf einen ganz bestimmten Frauentyp«, antwortete er mit Nachdruck.
Shay, die zusehends pampiger wurde, konterte: »Die Frau möchte ich sehen! Selbstbewusst, emanzipiert und geradlinig darf sie jedenfalls nicht sein. Eher der Typ kleine verhuschte Zaubermaus – das kann ich mir lebhaft vorstellen.« Sie schoss aus dem Sessel hoch und lief aufgebracht in der Küche hin und her. Es ärgerte sie, dass sie ihn anscheinend völlig kaltließ. Reg dich ab, du dusselige Kuh, schimpfte sie sich insgeheim.
»Hören Sie, wie oft soll ich Ihnen noch sagen, dass es mir leidtut«, fauchte sie. »Ich weiß wirklich nicht, wieso Sie aus dieser kleinen Episode einen Staatsakt machen müssen. Ich hab Sie nackt gesehen. Na und? Wenn Ihnen so was bei mir oder irgendeiner anderen Frau passiert wäre, hätten Sie auch hingeschaut, wetten? Versuchen Sie erst gar nicht, es abzustreiten. Und Sie hätten vermutlich gleich irgendwelche erotischen Anwandlungen gehabt, im Gegensatz zu mir.«
»Die hab ich nur bei meiner Frau.«
»Sie sind verheiratet?« Shay stutzte und blickte sich in der Küche um, als müsste sich vor ihren Augen prompt ein verschüchtertes, unterdrücktes, unselbstständiges Weibchen materialisieren. Merkwürdig. Auf die Idee, dass er schon vergeben sein könnte, war sie noch gar nicht gekommen. Ihre Mutter hatte am Telefon nichts dergleichen erwähnt, da war sie sich ganz sicher.
»Ich war verheiratet.«
»Geschieden?«, hakte sie nach.
»Nein. Meine Frau ist tot.«
Der Wunsch, ihn zu provozieren, zerplatzte wie eine Seifenblase. Ihr spöttisches Lächeln verblasste und wich einem Ausdruck schuldbewusster Zerknirschtheit. Shay sank wie benommen wieder in den Sessel. Starrte verlegen durch das Fliegengitter der Hoftür hindurch ins Freie. Direkt vor dem Hintereingang stand ein Landrover. Sie hatte vor dem Haus geparkt und das Fahrzeug infolgedessen gar nicht bemerkt.
»Oh, das tut mir irrsinnig leid für Sie«, murmelte sie. Das Gurgeln der Kaffeemaschine erfüllte die Küche. Ian nahm die Kanne von der Warmhalteplatte und goss Kaffee in einen Becher. »Ich hatte wirklich keine Ahnung. Das hat Mom mit keinem Wort erwähnt.«
»Zucker?«
Sie riss den Kopf zu ihm herum und blickte in umwerfend blaue Augen. »Was?«
»Zucker? Für Ihren Kaffee.«
»Oh, nein … nein. Aber Milch oder Sahne, bitte«, antwortete sie. Sie nahm den Becher in Empfang. Er ging zum Kühlschrank, holte eine Packung fettarme Milch heraus und stellte sie auf den Tisch. »Danke.«
»Aber gerne«, sagte er förmlich, während er sich selbst Kaffee eingoss. Er setzte sich ihr gegenüber an den Tisch. Für eine lange Weile blickte er schweigend aus dem Fenster, während er sanft auf seinen Kaffee pustete, um ihn etwas abzukühlen, bevor er zögernd einen Schluck trank. Schließlich sagte er leise: »Ein betrunkener Autofahrer fuhr uns nachts in die Beifahrerseite. Sie war sofort tot. Ich kam mit dem Schrecken davon. Das ist jetzt fast zwei Jahre her. Ich erzähl es den Leuten lieber gleich, ehe sie anfangen, mich mit Fragen zu löchern.«
Wieder folgte längeres, dumpfes Schweigen. Shay, die wahnsinnig am Leben hing, war schwer geschockt. Heimlich litt sie mit ihm. »Ich war verheiratet, aber es endete mit einer Scheidung«, sagte sie nachdenklich, gleichsam als wollte sie ihm demonstrieren, dass ihr die Tragödien des menschlichen Herzens nicht fremd waren. »Ehen scheitern nun mal gelegentlich. So was kommt vor. Eben ein klarer Fall für die Statistik.«
»Genau wie Mary.«
»Ja.« Shay nippte vorsichtig an ihrem Kaffee. Dabei beobachtete sie ihn verstohlen über den Rand ihres Porzellanbechers hinweg. Betrachtete sein herbes, kantig geschnittenes Profil. Gewahrte die strahlenden Augen, die die Ernsthaftigkeit und Verschlossenheit in seinen Zügen milderten. Hatten diese Augen sie dazu
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