Heisser Draht nach Paradiso
Tuch.
„Das wäre doch was“, meinte
sie, „für das Guinness-Buch der Rekorde. Weltrekord im Schließfach-Knacken. Nur
zu! Melden Sie’s an.“
Er fand das nicht komisch.
„Ich bringe dich jetzt runter
in den Raum neben den Schließfächern. Der ist schalldicht, wie gesagt, hat aber
einen Belüftungsschacht und eine Lampe. Bis Montagfrüh ist das dein Kerker. Du
wirst es aushalten. Kriegst den Sessel hier und zwei Packungen Kekse. Mehr
haben wir in der Kaffeeküche nicht gefunden. Mineralwasser ist genug da. Wir
stellen dir einen Kasten hin. Noch Wünsche?“
„Und womit soll ich mich
beschäftigen? Kann ich wenigstens ein paar Zeitschriften haben? Oder Bücher.“
„Ich werde nachsehen.“
„Bitte! Bitte, tun Sie’s. Ich
verspreche auch: Immer zu Weihnachten schickte ich Ihnen einen selbstgebackenen
Kuchen ins Gefängnis. Jedenfalls während der ersten fünf Jahre. Wieviel, meinen
Sie, werden Sie kriegen: zehn, 15?“
„Nicht einen Tag, Täubchen.
Aber dir machen wir’s ungemütlich dort unten — falls du weiter so frech bist.“
Gaby wurde losgebunden und in
den Keller geführt. „Weshalb hinkst du?“
„Mein linker Fuß ist
eingeschlafen.“
Gaby schwindelte. Sie wollte
den roten Zettel nicht verlieren, der — mit dem Kaugummi fixiert — unter der
Sohle klebte.
*
„Nichts von Bedeutung“,
erwiderte Polizeimeister Knotinger auf Tims Frage. „Pauline Angermann ist
Spezialistin für blinden Alarm.“
Dann erzählte er den Jungs von
ihr — und von ihrem 19. Anruf am heutigen Abend.
„Welche Bank“, fragte Tim, „hat
sie denn gemeint?“
„Sie wohnt im Dachgeschoß einer
Privatbank. Ganz allein.“
„Privatbank?“
„Seidl und Brinkheym in der
Pflaster-Gasse.“
Von der, dachte Tim, haben wir
heute schon gehört.
Als sie draußen waren und ihre
Drahtesel vorfanden, unangetastet, meinte Klößchen: „Seidl und Brinkheym —
kommt mir irgendwie bekannt vor. Hat mein Vater dort ein Konto?“
„Plätschlweiher“, erwiderte
Tom, „ist Bankkunde bei Seidl und Brinkheym.“
„Sage ich’s doch!“ Klößchens
Erinnerung taute auf. „Und er hat dort ein Schließfach mit Familienschmuck
drin.“
Tim blickte in die dunstige
Nacht.
Drüben an der Häuserzeile lief
eine Katze entlang. „Eigentlich“, sagte Karl, „finde ich Knotingers Verhalten
ein bißchen sorglos. Mag ja sein, daß die alte Pauline verkalkt ist. Aber einem
solchen Hinweis sollte man nachgehen.“
„Es nützt nichts, wenn wir
vorbeifahren“, sagte Klößchen. „Wir können nicht rein in die Bank, und von
außen sieht man ihr nicht an, ob der Tresor gesprengt wurde — falls tatsächlich
gesprengt wurde.“
„Trotzdem fahren wir hin“,
entschied Tim. „Pflaster-Gasse — das hatten wir heute abend noch nicht. Wißt
ihr, wo das ist?“
„Ich kenne die Ecke“, sagte
Karl und setzte sich an die Spitze.
10. In der Bank
Es bringt nichts, dachte Tim.
Woher sollte Gaby wissen von Pauline Angermanns Anruf. Immerhin — wenigstens
haben wir eine Adresse zum Anlaufen. Diese hilflose Ziellosigkeit — verdammt! —
die macht mich fertig!
Er legte ein paar
Radumdrehungen zu und schob sich neben Karl.
Klößchen keuchte hinterdrein
und verbrauchte viel Luft beim Murmeln von Flüchen. Natürlich war auch er
bereit, sich für Gaby in die Pedale zu werfen mit all seinen Pfunden. Aber schweißtreibende
Aktion beeinträchtigt seine Frohnatur. Also schwitzte er und fluchte er und
verwünschte, daß jetzt nach Mitternacht die Schokoläden geschlossen hatten.
„Pflastergasse“, sagte Karl.
„Dort ist die Bank.“
Das Gebäude von Seidl und
Brinkheym ruhte düster in der Sommernacht, dreistöckig, ohne Leuchtreklame und
Licht.
Ohne Licht?
Tim strengte die Augen an.
Ganz oben gleißte für einen
Moment milchiger Schein hinter einem der Fenster. Als wäre Helligkeit
eingedrungen aus einem erleuchteten Zimmer im Hintergrund. Für einen kurzen
Moment. War Pauline Angermann noch auf? Oder mußte sie zur Toilette? Oder in
die Küche, weil sie vergessen hatte, ihr Schlafmittel einzunehmen — und zum
Glück noch mal aufgewacht war aus bleiernem Tiefschlaf?
Ein Stein klickerte.
Das Geräusch kam aus der
lichtlosen Gasse zwischen der Bank und dem nächsten Gebäude.
Tim stieß sich mit den Füßen
vom Boden ab und rollte mit seinem Rennrad vor die Einmündung.
Ein langes Gäßchen, schmal und
nur für Fußgänger zugelassen.
Es mündete offenbar auf einen
Platz, wo Laternen brannten. Jedenfalls
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