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Heisser Draht nach Paradiso

Heisser Draht nach Paradiso

Titel: Heisser Draht nach Paradiso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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den Fremdenführer machte, schlurfte nur
noch.
    Abendessen, Kino. Man mußte die
Zeit totschlagen. Aber jetzt war es spät; und die vier Freunde samt Hermann
Sauerlich standen auf dem Bahnsteig und warteten.
    Ein paar Dutzend Reisende
warteten ebenfalls. Die meisten hatten ihr Schlafabteil gebucht oder wenigstens
Platzkarten.
    Tim erkannte diesen Teil der
Reisenden daran, daß sie gelassen herumstanden. Die andern, die sich einen
freien Platz erst noch erobern mußten, sockten nervös auf und ab und blickten
immer wieder in die Richtung, aus welcher der Nachtexpress endlich kommen
mußte.
    Wagen 106, dachte Tim, das
Abteil mit den Betten 17 bis 20 — dort müssen wir rein.
    Bei der Zugfolgetafel hatte er
sich vergewissert: Wagen 106 lief nämlich am Schluß des Zuges und würde halten
ungefähr in Höhe des Zeitungskioskes dort.
    Klößchen gähnte wie ein
hungriger Löwe.
    „Ich falle gleich ins Bett“,
meinte er.

    „Halt bitte die Hand vor den
Mund, wenn du gähnst!“ sagte Sauerlich. „Du bist hier in der Öffentlichkeit.“
    „Aber doch im Ausland“, müpfte
sein Sprößling auf. „Hier kennt mich keiner.“
    „Was für eine Rolle spielt das?
Gutes Benehmen ist international — sollte es wenigstens sein.“
    Lautsprecher-Durchsage. Die
Gleise vibrierten. Die Wartenden wogten etwas zurück. Der Express lief ein,
dröhnend, zischend; ein gigantischer, roter Lindwurm mit windschlüpfriger
Lokomotive als Kopf und erleuchteten Flanken.
    Tims Berechnung stimmte.
    Wagen 106 hielt genau vor
ihnen.
    Der Schlafwagen-Schaffner stieß
auch gleich die Tür auf und rückte an seiner Mütze.
    Sauerlich drückte seinen
Sohnemann ans Herz, dann auch die andern. Dem Schaffner steckte er ein dickes
Trinkgeld zu. Der wollte sich ums Gepäck kümmern, aber das gaben die vier
Freunde nicht her.
    Tim als Kavalier buckelte
schwer — außer seinem großen Reisesack mit Lederbesatz schleppte er auch Gabys
Koffer. Trotz Pfotes Protest.
    Der TKKG-Häuptling stürmte
hinein in den Schlafwagen. Ein schlauchschmaler Gang. Einige Reisende standen
täppisch im Weg, aber nicht lange. Tim schaffte Bahn: Das Schlafabteil war das
dritte von dieser Seite des Einstiegs. Schmale Betten, je zwei übereinander. In
der Ecke das Waschbecken mit Spiegel und Wasserflaschen zum Zähneputzen.
    Jeder warf sein Gepäck aufs
Bett — Tim und Gaby belegten oben — , dann rannten alle wieder hinaus, um
Klößchens Vater zuzuwinken, der ziemlich verloren auf dem Bahnsteig herumstand.
    Er wäre lieber gleich
mitgereist, statt noch tagelang in Zürich auf Konferenzen zu schuften. Aber wie
überall in der freien Wirtschaft — auch in der Schokoladenbranche weht ein
rauher Wind; und da der Mensch nicht allein lebt von Kakaoprodukten, müssen
sich die Hersteller tummeln und immer von neuem verleiten zur süßen Verführung.
    Ein alter Herr bestieg als
letzter den Wagen 106, das heißt, er versuchte es. Aber zum einen wollten die
steifen Knie nicht, zum andern riß sein Koffer ihn zurück — gerade wenn er eine
Stufe beinahe geschafft hatte.
    Der Schaffner war woanders.
    Tim beugte sich aus der
Wagentür, packte den Oldie samt Koffer und zog ihn herein.
    „Danke, mein Sohn.“
    Er wackelte. Tim hielt ihn
solange fest, bis er festen Stand gefunden hatte.
    „Vielen Dank, mein Sohn.“
Schweratmend fügte er hinzu: „Irgendwo ist hier mein Einzelabteil.“
    Allein findet er nie hin,
dachte Tim und nahm den Koffer des Oldies.
    Das Abteil lag ganz hinten. Als
Tim dort den Koffer absetzte, hatte der Opa einen Zehn-Franken-Schein in der
Hand. Aber Tim wehrte ab.
    „Danke, nein. Ich bin nicht der
Schaffner. Gute Reise.“
    Der Oldie sah aus, als könnte
er sich Dutzende von dienstbaren Geistern leisten, die alles für ihn tun:
Koffer schleppen, begleiten, die Treppen hochziehen, das Abteilbett aufdecken,
Trink- und Eßbares herankarren, jeden Wunsch von den altersschwachen Augen
ablesen.
    „Dann sage ich nochmals: Vielen
Dank, mein Sohn.“
    „Keine Ursache.“ Tim lief zu
seinen Freunden zurück.
    Sie standen an der Wagentür,
und Klößchens Vater sagte gerade: „Irgendwoher kenne ich den Gentleman. Doch,
da bin ich mir sicher.“ Zu Tim sagte er: „Nett, daß du ihm geholfen hast.“
    „Sonst wäre er wohl unter den
Zug gefallen. Und das wollen wir doch nicht.“
    „Ich sagte soeben, daß ich ihn
irgendwoher kenne. Mir fällt’s nur nicht ein.“
    Die Signalpfeife schrillte.
Türen schließen! Dann ruckte der Zug an. Hermann Sauerlich winkte,

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