Heisser Fruehling in Alaska
schneller. "Ich glaube, die meisten Tiere in der Gegend können ganz beruhigt sein."
"Gut." Sydney erwiderte sein Lächeln. "Selbst wenn ich mich in den Wäldern verirren würde, wäre ich wahrscheinlich gar nicht dazu fähig, ein wildes Tier zu töten und zu essen."
"Sie wären überrascht, wozu Sie fähig wären ... in den Wäldern."
Sie standen am Feuer und starrten sich an. Warum
interpretiere ich immer mehr in seine Worte hinein, als er meint?
fragte sie sich. Ihm ging es doch nur darum, ihr klarzumachen, daß man in bestimmten Situationen gezwungen sein konnte, Dinge zu tun, die man normalerweise nicht über sich brachte.
Statt dessen jedoch dachte sie an seinen Kuß. An das Gefühl seiner Haut unter ihren Händen. An seine verblüffend weichen Lippen und den leichten Rauchgeruch, der seiner Kleidung anhaftete.
"Ich bin bereits überrascht", murmelte sie.
Hawk nickte und räusperte sich. Sydney hielt gespannt den Atem an. Würde er erwähnen, was zwischen ihnen vorgefallen war? Würde er versuchen, sie noch einmal zu küssen?
"Vielleicht könnten Sie den anderen sagen, daß sie sich fertigmachen sollen", schlug er nach kurzem Schweigen vor.
"Wir werden in einer Stunde aufbrechen."
Heftige Enttäuschung erfaßte sie, und sie rief sich ärgerlich zur Ordnung. Was hatte sie denn von ihm erwartet? Er war der Leiter ihres Survivalkurses, und seine Aufgabe bestand darin, sie Überlebenstechniken in der Wildnis zu lehren. Es gehörte nicht zu seinen Pflichten, ihre sexuellen Wünsche zu erfüllen.
Dummerweise war er für sie längst mehr als nur ihr Führer.
Sie hatten sich geküßt und Zärtlichkeiten ausgetauscht.
Bedeutete ihm das denn gar nichts? Sydney verkniff sich die bitteren Worte, die ihr auf der Zunge lagen. Sie wollte mit ihm reden wie am Tag zuvor und so mehr über ihn herausfinden.
Aber die Barriere zwischen ihnen, die sie einmal für einen flüchtigen Moment lang überwunden hatten, war wieder da.
"Also gut. Dann sage ich den anderen jetzt Bescheid." Sie wollte zu den Zelten zurückgehen, aber seine Stimme hielt sie auf.
"Sydney?"
Erwartungsvoll drehte sie sich um.
"Sie können nur mitnehmen, was in die Taschen Ihrer Jacken und Hosen paßt. Sagen Sie das den anderen auch."
Sydney nickte und verfluchte sich im stillen, als sie ihren Weg fortsetzte. Er tat, als wäre nichts geschehen zwischen ihnen! War denn der Kuß für ihn so einfach zu vergessen? Oder machte sie sich nur Illusionen wegen eines Vorfalls, der auch für sie bedeutungslos hätte sein müssen? Sydney seufzte und beschloß, Hawk während der Wanderung zu ignorieren.
Eine gute Stunde später brachen sie in die Wälder auf, und Sydney hielt sich ganz am Schluß der Gruppe. Kit und Renee gingen vor ihr und blieben ab und zu stehen, um eine Pflanze zu untersuchen, die in Hawks Bestimmungsbuch abgebildet war.
Adrienne ging neben Hawk und flirtete bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit ihm. Ihr Lachen, das durch die stillen Wälder schallte, war nervtötend wie das Geräusch von Fingernägeln, die über eine Schiefertafel kratzten.
Sie kann ihn haben, dachte Sydney. Soll sie doch von ihm träumen und sein Schweigen und seine abweisende Art ertragen.
Aber während sie die beiden beobachtete, fiel ihr auf, daß Hawk wenig Interesse an Adrienne erkennen ließ. Tatsächlich wirkte er sogar gelangweilt und blickte stur geradeaus. Nach einer Weile schien auch Adrienne dieser einseitigen
Konversation überdrüssig und blieb zurück, um mit Renee und Kit zu plaudern.
Als sie eine steile Uferböschung hinunterkletterten, hob Hawk die Hand und deutete auf eine Elchkuh, die sie
mißtrauisch beäugte. Neben ihr stand ein neugeborenes Kalb, das nur aus Kopf und Beinen zu bestehen schien. Sydney stockte der Atem. Ein solch majestätisches und zugleich groteskes Tier hatte sie noch nie zuvor gesehen.
Unwillkürlich schaute sie zu Hawk hinüber und sah, daß er sie still betrachtete. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sich ihre Blicke trafen und sie beide in stummem Einvernehmen lächelten. Dies war seine Heimat, und er teilte dieses schöne Erlebnis mit ihr. Die Barriere zwischen ihnen bröckelte ein wenig, und Sydney fühlte etwas von der früheren Vertrautheit zurückkehren.
Tausend Fragen gingen ihr durch den Sinn, als die Elchkuh leise schnaubte und davontrabte, dicht gefolgt von ihrem Kalb.
Wovon ernährten sich diese Tiere? Wo schliefen sie? Ob noch mehr Elche in dieser Gegend lebten?
Und neben all diesen Fragen
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