Heißes Eisen
egoistisch und gedankenlos sind und daß selbst die Besten unter ihnen im richtigen Moment und für das richtige Gebot ihre Mutter verkaufen würden.
Der große Unterschied zwischen den Guten und den Schlechten ist der, daß sich den Guten bisher nur noch keine Chance geboten hat, von einer schlechten Tat genügend zu profitieren.
Eine sehr trübe Ansicht, die bedauerlicherweise fast jeden Tag von den Ereignissen bestätigt wird.
Eine trübe Sicht auf die Dinge ist auch deshalb erschreckend, weil sie mir ständig vor Augen hält, daß auch ich irgendwann an der Reihe bin.
Selbst die schmutzige, gepflasterte Straße, die am Al-Khar vorüberführte, war öde. Es gab kaum Verkehr, auch nicht bei besserem Wetter. Allein im Wald hätte ich mich weniger einsam und weniger deprimiert gefühlt.
Die Straße stellte mich nicht nur emotional, sondern auch beruflich vor ein Problem. Ich konnte mich nicht unsichtbar machen. Die Leute würden sich über meine Gegenwart wundern und sich vielleicht sogar an mich erinnern, obwohl sie nicht herauskommen und Fragen stellen würden. In unserer Stadt gehen die Menschen Schwierigkeiten aus dem Weg.
Schließlich stolperte Kläffer aus dem Tor, die Daumen in den Gürtel eingehakt. Er blieb stehen und betrachtete die Welt mit dem Blick des Strafgefangenen.
Er war etwa einssechzig groß, in den Sechzigern und fett. Er bekam eine Glatze und hatte einen mächtigen grauen Schnurrbart und wirre Augenbrauen. Seine Haut war vom langen Leben im Freien gebräunt. Das Gefängnis hatte ihm offenbar nicht allzusehr zugesetzt. Seine Kleider waren alt, zerschlissen und starrten vor Dreck. Anscheinend trug er dasselbe wie bei seiner Einlieferung. Das Al-Khar hatte keine Sträflingsuniform. Und Kläffer hatte, soweit ich wußte, keine Verwandten, die ihm frische Klamotten hätten bringen können.
Sein Blick glitt über mich, aber er reagierte nicht. Er hob das Gesicht, genoß den feinen Regen auf seiner Haut und ging los. Ich gab ihm einen halben Block Vorsprung, bevor ich mich an die Verfolgung machte.
Seine O-Beine verliehen ihm einen auffälligen Gang. Wahrscheinlich hatte er Arthritis. Seine Art der Fortbewegung hatte etwas Rollendes. Er hob eine Seite seines Körpers an und schwang das entsprechende Bein vorwärts, dann folgte dasselbe bei der anderen Seite. Ob er starke Schmerzen hatte? Das Gefängnis bietet nicht gerade heilsame Kuren bei Arthritis.
Kläffer hatte es nicht eilig. Er schlenderte dahin und kostete seine Freiheit aus. An seiner Stelle hätte ich es genauso gemacht. Aber im Augenblick war mir nicht besonders mitfühlend zumute. Ich knurrte und maulte über seine unglaubliche Rücksichtslosigkeit. Einen erstklassigen Ermittler durch den Regen latschen zu lassen!
Immerhin, es war nicht seine Schuld. Ich schmiedete Pläne für meine Rache am Toten Mann.
Das ist immer eine interessante geistige Übung. Welche Repressalien kann man gegen jemanden ausüben, der bereits tot ist? Viele Möglichkeiten bleiben einem da nicht.
Selbst uns Meistern dieses Spiels unterläuft gelegentlich ein Flüchtigkeitsfehler. Das passiert schnell, wenn man sich nicht bedroht fühlt. Ich fühlte mich nicht bedroht. Kläffer war nicht gerade der Typ Bruno, mit dem ich mich normalerweise herumschlagen mußte. Ich meine die Sorte, die so groß wie ein Haus ist, halb so intelligent und genauso schwer herumzuschubsen. Kläffer war eher ein kleiner alter Mann. Kleine alte Männer werden nicht gewalttätig. Das übernehmen irgendwelche großen, blöden Brunos.
Ich schlenderte um eine Ecke und – hoppla! Der Schlag landete genau in meiner Magengrube. Glücklicherweise war Kläffer ein alter Mann, und kleine alte Männer werden ja nicht gewalttätig ...
Ich klappte zusammen und versuchte, dem nächsten Schlag auszuweichen. Wunder, o Wunder ... ich schaffte es. Er war letztlich doch nur ein kleiner, alter Mann. Ich schnappte nach Luft und atmete wieder ruhiger. Inzwischen hatte Kläffer eins und eins zusammengezählt und rausgefunden, daß er nicht genug Dampf in den Muckis hatte. Seine beste Möglichkeit war, sich so schnell, wie ihn die Füße trugen, vom Acker zu machen.
Keine dumme Taktik, wenn man meine Laune bedenkt, die sich unvermittelt drastisch verschlechtert hatte.
Ich wetzte hinter ihm her. Glücklicherweise trainierte ich, also war ich fit genug, mich schnell zu erholen. Kurz darauf war ich genauso schnell wie er, dann verkürzte ich sogar den Abstand. Kläffer sah nur einmal zurück. Er sparte
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