Heißes Eisen
sich seine Energie für die Flucht auf.
Ich dagegen fing an, vorsichtiger die Ecken zu umrunden.
Ich brauchte nicht lange, bis ich ihn eingeholt hatte und ihn packte. Seine Schläge blockte ich ab und zerrte ihn gewaltsam auf die Stufe einer Treppe herunter. »Was sollte das denn werden?« wollte ich wissen.
Er sah mich an, als wäre ich verrückt. Vielleicht hatte er ja auch recht. Ich hatte mir bis jetzt nicht viel Weisheit antrainiert. Jedenfalls antwortete er mir nicht.
Es sah nicht so aus, als wollte er stiftengehen, also setzte ich mich neben ihn, gerade weit genug entfernt, daß er mich nicht mit seiner Rückhand überrumpeln konnte. »Das hat weh getan, Bürschchen. Was sollte das?«
Schon wieder dieser Blick. »Wofür hältst du mich, Bruno?«
Oha. Das schmerzte noch mehr als der Schlag in die Gedärme. Ich bin ein erfahrener Ermittler, kein Straßenschläger. »Für einen verrückten alten Mann, der nicht genug Grips hat, sich vor dem Regen in Sicherheit zu bringen.«
»Ich bin eins mit der Natur. Fängst du jetzt bald an?«
»Womit?«
»Mit der Folter. Armverdrehen und so weiter.«
Ha! Jetzt durfte ich ihn verächtlich ansehen.
»Mit deinem blöden Blick legst du mich nicht rein. Irgend jemand hat dich geschickt, damit ich nicht die Wahrheit sagen kann.«
Gut, daß ich schlau bin. »Was für eine Wahrheit soll das denn sein?«
Er war noch schlauer. »Wenn sie es dir nicht gesagt haben, wollten sie nicht, daß du es weißt. Und ich will dich nicht so tief in die Sache hineinziehen, wie ich selbst drinstecke.«
Er war durchgeknallt. Und ich saß neben ihm auf der Stufe und plauderte mit ihm. Im Regen. Und im Wind. Vor allem im Wind. Anscheinend hatten sie Kläffer vor der Entlassung nicht geschrubbt. »Keine Folter. Mir ist es egal, was du tust.«
Er verstand mich nicht. »Wieso verfolgst du mich?«
»Um rauszufinden, wohin du gehst.« Ich wollte ihn mit einer neuen Technik überrumpeln: Sag die Wahrheit. Vielleicht verwirrte ihn das ja.
Es klappte. Er war verwirrt. »Warum?«
»Keine Ahnung. Irgendein Kerl hat meinen Partner bezahlt, der den Job angenommen hat, ohne mich vorher zu fragen. Natürlich ist er ans Haus gefesselt. Also sitze ich hier und lasse mich vom Regen aufweichen.«
Vermutlich glaubte er mir deshalb, weil ich nicht grob wurde. »Wen könnte das interessieren?« Er schien keine Ahnung zu haben. »Niemand nimmt mich ernst. Jedenfalls fast niemand.«
Ich blickte auf, um zu sehen, ob wir schon eine Menschenmenge angelockt hatten. Kläffer war laut. Anscheinend hatte er so lange geschrien, daß er nicht mehr leise sprechen konnte. Außerdem überlegte ich, was sie ihm im Gefängnis zu essen gegeben hatten. Er stank aus dem Mund wie ein Faultier aus dem Arsch. Ganz zu schweigen davon, daß er auch sonst nicht besonders appetitlich aussah. Seine wirren Augenbrauen, der verfilzte Schnurrbart, die riesige Nase und seine hervorstehenden Augen waren nicht hübsch anzusehen. Wenigstens versuchte er nicht, mir ein Flugblatt zuzustecken oder mich dazu zu bringen, eine Bittschrift zu unterschreiben.
Ich beschloß, mein Experiment bis zum Anschlag auszureizen. »Es interessiert einen Kerl namens Krischtof Hullar.«
»Wer? Ich kenne keinen Krischtof Hullar.«
Er sah mich sonderbar an. Wahrscheinlich glaubte er, ich würde lügen oder wäre verrückt. Dann runzelte er die Brauen. »Muß ein Strohmann sein, klar.«
»Was meinst du damit?«
»Ein Strohmann. Jemand, der dich anstelle von jemand anderem engagiert hat.« Er nickte und grinste. Jemand war hinter ihm her. Die Vorstellung gefiel ihm. Nach all den Jahren hatte es tatsächlich jemand auf ihn abgesehen! Jemand nahm ihn ernst. Er wurde sogar verfolgt !
»Wahrscheinlich.« Ich hatte mir nie viel Gedanken über Kläffer gemacht. Ab und zu war mir die Frage durchs Hirn geschossen, ob er wirklich an das glaubte, was er verkündete. Es war allgemein bekannt, daß seine Behauptungen, was seine Familie betraf, übertrieben waren. Bei keiner seiner Verschwörungsklagen war je was herausgekommen, und das in einer Stadt, in der jedermann Munition sammelte, die er gegen andere Jemands feuern konnte. Aber niemand versuchte, ihn zum Schweigen zu bringen.
»Wie lange haben sie dich eingelocht?« Jetzt war es sowieso egal. Ich konnte nicht mehr nasser werden, und die Feuchtigkeit dämpfte wenigstens Amatos Ausdünstungen ein wenig.
»Sechzig Tage.«
Ein Komiker. »Wie lautete die Anklage? Lüg mich nicht an, es steht in den Akten. Ich
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