Heiter. Weiter.
Saint-Jean-de-Vaux ist es nicht weit bis zum Weinstädtchen Givry. Ein Wanderer trifft und tritt auf etwas in Frankreich Ungewöhnliches. Aus einer Linie der Eisenbahn wurde eine rote Linie auf der Michelin-Karte: ein Fahrradweg. Das Gleisbett wurde zum Freizeitweg umfunktioniert. Schienen fehlen, doch hin und wieder tauchen Bahnsteigkanten, kleine Bahnhöfe und Schrankenwärterhäuschen auf. Kaum Schatten, die Sonne knallt wüstenreif. „Wüste“ bedeutet „désert“. In Saint-Désert steht auf Dauerhalt ein ausrangierter Waggon, umgebaut zum Café. Doch es ist „désert“, menschenleer: Monsieur Dupont hat Ruhetag. Trotz der Hitze komme ich gut voran und habe bald Buxy erreicht. Als Eisenbahnfreund trotte ich traurig auf dem stillgelegten und jetzt asphaltierten Schienenweg. Im Wartehäuschen eine große rechteckige Verfärbung: Hier hing der Fahrplan. Das Stellwärterhaus wurde zum Cottage englischer Wochenendurlauber. Mit Pool. Ein verrostetes Schild warnt: „Attentacion au train“. Doch statt der Dampflok schnauft ein durstiger, hungriger Wanderer durch die mit Pinot Noir und Chardonnay bepflanzten Weinberge in Richtung Süden - neugierig und misstrauisch beobachtet durch die großen Augen sahneweißer Charolais-Rinder. Ich bedaure mein gestriges Dîner.
In einem der Bahnhöfe ist die Tourist-Information eingezogen. Ich reserviere mir einen Stellplatz auf dem Campingplatz in Saint-Boil. Ich befürchtete, verschmutzt, verschmitzt, verschwitzt wie ich bin, auf den mir als versnobbt in Erinnerung gebliebenen Platz abgewimmelt zu werden. Beim Anmarsch überlege ich, ob ich als Belohnung für den Ruhetag-Verzicht mir das Camping-Restaurant leisten darf oder an der Rezeption eine Dose erstehen soll. Doch das Restaurant hat, im Gegensatz zu mir, heute Ruhetag. Was habe ich denn verpasst? Die Karte bietet „Pizza mexicaine“. Man bereitet auch Version „américaine“ oder „hawaïenne“. Und „bourguignonne“, mit Schnecken belegt, verfeinert mit „beurre persillé“. Nun ja. Die Rezeption ist bereits zu. Zu bleiben so auch die Konserven, mir bleiben meine Reste von Brot und Wurst. Dazu erfrischend kaltes Wasser. Doch woher? Den Hähnen entströmt nur heißes Wasser, nirgendwo fließt kaltes. Bei dieser Hitze! Der Platz verfügt über fünf Sterne, aber nicht über kaltes Wasser - die Caravans sind mit Kühlschränken ausgestattet. Endlich entdecke ich einen Kaltwasser-Hahn: hinterm Haus, wo der Gärtner zapft.
In der Nacht erfreut mich Froschgequake unterm klaren Sternenhimmel. Compostela bedeutet Sternenfeld. Eine Sternschnuppe! Der Campingplatz hat fünf Sterne, doch der Himmel hat viel mehr zu bieten.
Lieber ein Picknick im Freien als ein liebloses Menü im teuren Bistro
Morgenstimmung. Die Frösche sind stumm, jetzt schnattern Enten. Auf tautriefender Wiese packe ich eilig den Rucksack. Die Rezeption ist immer noch nicht geöffnet. Kein Kaltwasser, keine Konserve, keine Hawaïenne - zur Strafe gibt es kein Geld von mir. Ich mache mich aus dem Tau, verlasse Saint-Boil und gehe nach Sercy. Am prächtigen Château kann man sich satt sehen, aber nicht satt werden. Ich habe Hunger!
In Cormatin hat mein Hunger ein Ende. Die Freundlichkeit dem Fremden gegenüber ist groß. Der Bäcker weiß, aus einem durchziehenden Jakobspilger wird kein Stammkunde. Doch geduldig wiederholt er die Namen der Brotsorten, erklärt den Unterschied zwischen Baguette, Flûte und Ficelle. Oder Antoinette, die adrette Verkäuferin in der Metzgerei: Drei Scheiben von der zervelatwurstähnlichen Salami, drei Scheiben von der salamiähnlichen Saucisson sec und ein wenig vom saftigen, gekochten Schinken. Kein Problem, Monsieur!
Ich ziehe ein Picknick im Freien einer Mahlzeit im Bistro vor. Was ich dort bisher sah, konnte mich nicht begeistern. Als Vorspeise gibt es meist etwas Wurstaufschnitt, dann serviert man Steak mit Pommes und zum Abschluss Käse. Manchmal wird Eis am Stiel gereicht. An dem Kaffee zum Abschluss bin ich nicht interessiert. Da kaufe ich lieber ein.
Ich stärke mich mit „Jésus“, einer dicken Wurst mit grünen Pistazienstückchen, sowie Sülze aus Schweinefleisch und Petersilie. Selig liege ich mit dem Rest von Baguette und Rotwein im Gras. Weinbergschnecken laben sich an saftigen, dunkelgrünen Halmen. Unterkunftsprobleme kennen sie nicht, sie haben ihr Häuschen stets dabei. Doch müssen sie aufpassen, dass sie nicht in weißem Burgunder mit Knoblauch, Kräutern und Butter zu „escargots â la
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