Heiter. Weiter.
bourguignonne“ werden. Schwere Zeiten auch hier für Hausbesitzer.
Ich muss weiter, damit mir kein Unterkunftsproblem entsteht. Am Weg liegt Taizé. 1940 kommt ein Schweizer hierher. Er will in der Kriegszeit Menschen in Not helfen. Er versteckt Juden, später kümmert er sich um deutsche Kriegsgefangene. Im Laufe der Jahre ist eine Gemeinschaft unterschiedlicher Konfessionen entstanden. Tausende kommen jährlich zu Besuch. Der Gründer, Frère Roger, wird 2005 während des Gebetes ermordet. Ein wichtiges Etappenziel ist Cluny. Die Benediktinerabtei war im Mittelalter ein geistiges Zentrum der Christenheit. Das Kloster entwickelte sich zur größten christlichen Kirche - bis zum Bau des Petersdoms. Nach der Französischen Revolution wird es verkauft an Investoren, die es als Steinbruch zu Geld machen. Es ist wenig übrig geblieben vom einstigen „zweiten Rom“.
Essen, trinken, Dach über dem Kopf - aber es fehlt die Freiheit
Das Zeichen der Muschel bringt mich hinaus aus Cluny. Unterwegs wechsele ich auf die harmlose Autostraße. Das schont meine Füße und nährt die Hoffnung auf ein gastliches Haus.
In Bourgvilain finde ich ein nettes Café mit kleinem Laden. Einheimische sind es, die hier ihr Gläschen nehmen und ein Schwätzchen halten. Im Bauer hüpfen die Vögel wie irrsinnig auf den Stangen umher. Eingesperrt. Ließe man sie frei, frei fliegen, überlebten sie das nicht - aber wären doch einmal im Leben ihrer Gefangenschaft entkommen. Was haben sie von ihrem Leben im Käfig? Essen, trinken, ein Dach über dem Kopf -eigentlich alles. Es fehlt die Freiheit. Geht es nicht so vielen, die nach Santiago möchten, aber käfiggewohnt ihre Umgebung nicht verlassen können?
In Saint-Point hat man am See eine Freizeitanlage mit Campingplatz angelegt, alles recht kommerziell. Nix wie weiter, mein Tages-Soll habe ich noch nicht erfüllt. Die Sonnenstrahlen bringen Hitze in die Mittagsstunde. Stehen am Straßenrand Schatten spendende Bäume, so ziehe ich den Hut vor ihnen, um auch meiner Glatze erfrischenden Wind zu gönnen.
2004 ruhte ich mich in Tramayes auf einer vor der Touristen-Info stehenden Bank aus. Ein Mann trat aus dem Bureau, fragte, ob ich Pilger sei. Und wohin. Da hätte ich sicher einen Pilgerausweis, fragte er misstrauisch. Ich zeigte ihm mein Credential, er beäugte es aufmerksam. Warum ich weiter wolle, im Ort gebe es eine bescheidene Unterkunft für Jakobspilger. Das Angebot nahm ich gerne an.
Die Herberge bestand aus einem Raum mit Schlaf- und Kochgelegenheit sowie einem zweiten mit WC und Waschbecken. Was braucht ein Pilger mehr? Zufrieden mit mir und meiner Welt schlief ich ein. In der Nacht wurde plötzlich die Tür aufgerissen: Ein argwöhnischer Nachbar kontrollierte, ob die Dorfjugend sich etwa eingefunden hatte zum rendez-vous oder gar einem tête-à-tête galant.
Gibt es die Herberge noch? In der Touristen-Info arbeitet jetzt eine Frau, die meine Frage lächelnd bejaht und mich zur Herberge führt. Unterwegs erzählt sie mir, eine Initiative ortsansässiger Leute hätte die Pilgerherberge eingerichtet, im Ort gebe es aber darüber viel Unverständnis.
Später erwähne ich beim Einkaufen, dass ich in der Pilgerherberge übernachte und ohne diese schon längst weitergezogen wäre - was ja der Wahrheit entspricht. Ich möchte die Ladeninhaber mit Hilfe ihres Geschäftssinnes geneigt stimmen für die Herberge und ihrer Gäste.
In der Nacht findet keine erneute Orgie der Dorfjugend statt. Den letzten nackten Po, den ich zu Gesicht bekam, war der weiße Hintern eines verrenteten evangelischen Pfarrers. Soll es dabei etwa bleiben?
Weck, Wein und Wurst sind mir lieber als
Schnecken-Kaviar
Gewitter in der Nacht, Dauerregen am Morgen. Jetzt hat der Guss ein Ende. Spät verlasse ich Tramayes. Meine Pilger-Spende für die Übernachtung liegt im Kästchen. Ich marschiere die ersten Kilometer im Trocknen, dann setzt Nieselregen ein, der sich zum heftigen Schauer steigert. Dauerregen. Am Wegesrand hantieren regencapeverhüllte Figuren. Jakobuspilger?
Es sind Weinbergschneckensammler. Schnecken haben eine Schonzeit und die ist jetzt zu Ende. Die Gehäuse müssen eine bestimmte Größe haben, sonst dürfen sie nicht eingesammelt werden. Festgestellt wird das mit einem Ring: Wer hier durchfällt, hat Glück gehabt. Begehrt sind auch die winzigen Eier der Schnecken, den Schnecken-Kaviar mit Aromen von Wald, Pilzen, Humus. Das hat seinen Preis: Das Kilo kostet 1.600 Euro.
Vor lauter Schnecken
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