Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heiter. Weiter.

Heiter. Weiter.

Titel: Heiter. Weiter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Heininger
Vom Netzwerk:
habe ich mich jetzt vertan. Im Regen krame ich die Landkarte hervor: Ich bin falsch abgezweigt, befinde mich nicht auf dem Weg, den ich vor vier Jahren ging. Von der Streckenlänge her bedeutet es aber keinen Umweg. Weiter. Unverhofft steht zur Mittagsessenzeit in Le Razay ein Gasthaus vor mir. Auf dem Parkplatz sind Bauarbeiter-Fahrzeuge abgestellt. Das kann kein schlechtes Wirtshaus sein. Verführt von den Portionen am Nachbartisch, bestelle ich mir das Mittagsmenü. Es gibt grünen Salat, Nudeln und eine dicke Wurst, aus der wunderbar duftend kleingehackte Innereien quillen. Obwohl ich meinen Teller leergegessen habe, will sich draußen heute die Sonne einfach nicht zeigen. Unvergessen ist mir mein Aufenthalt 2004 am Col de Crie geblieben. Oben auf dem Berg steht die „Maison Col de Crie“, in der man Rast machenden Autofahrern regionale Köstlichkeiten nahe bringen möchte. Da auch Alkoholisches angeboten wird, war zur Übernachtung die Gîte im Nebenhaus sinnvoll. Die Maison ist noch da, in die Gîte aber ist ein Verein eingezogen. Wo schlafen? Egal, erst einmal rein in den Verkaufsraum. Noch satt vom Mittagsessen, kaufe ich ein fürs Abendessen und Frühstück.
    Hier gibt es vom Feinsten zum erfreulichen Preis: Käse und Marmeladen, Würste, Schinken und Pasteten, Brot, Kuchen, Pralinen, eingemachte Weinbergschnecken, Weine und Destillate. Wie Gott in Frankreich - das abgenutzte Klischee passt. Wir befinden uns im nordwestlichen Zipfel vom Beaujolais. Bitte keinen „Primeur“ verlangen - aus der Gamay-Traube wird hier Wein gemacht. Wo aber schlafen? An der Maison ist einladend ein ausladendes Dach zum Schutze im Freien sitzender Gäste angebracht. Ich frage die freundlichen Leute an der Verkaufstheke. Klar, ich darf da den Schlafsack ausrollen. Im Trocknen. „Es waren schon öfter welche da!“
    Wir glauben eine Unterkunft zu finden. Wir hoffen auf hilfsbereite Menschen. Wir lieben das Ungewisse.

Nach Santiago komme ich auf jeden Fall, ist ja nur ein Klacks

    Das Wetter verspricht angenehm zu werden, die Landkarte einen langen, harten Marsch. Vögel zwitschern mir einen Abschiedsgruß vom Col de Crie in unbekannter Sprache. Die bergige Landschaft erfreut das Wanderauge. Auf meinem Weg nach Chénelette entdecke ich am Straßenrand eine tote Kuh, provisorisch mit Paletten und Planen abgedeckt. Der Begriff „Abdecker“ bekommt da eine ganz neue Bedeutung.
    Ich treffe oft auf überfahrene Tiere: Wildschwein, Igel, Dachs und Fuchs. Auffällig gemusterte Schlangen liegen platt am Straßenrand. Auch lebendige Tiere begegnen mir: Wieder einmal Hahn und Henne, ungefährliche Hunde. Stolze Hornviecher vor den majestätischen Gehöften beachten mich kaum. Friedlich. Menschen wird man allenfalls gewahr in vorbeibrausenden Autos, manche winkend.
    In Les Echarmeaux warten Hotels und Restaurants auf Kundschaft. Ein kleiner Rotwein soll mein Herz erfreuen. Aber wo? Ich bin mir sicher, 2004 hier nirgendwo eingekehrt zu sein. Ich entscheide mich, wie meist, für das armseligst aussehende Haus am Platze. Drinnen stelle ich fest, dass ich hier bereits vor vier Jahren an der Theke stand. Auf dem Tresen liegt die Tageszeitung, diesmal jedoch eine andere. Die Symbole im Wetterbericht meinen: heute Sonne ohne Wolken. Morgen graue Wolken, aus der viele Striche rieseln.
    Für heute hat die Vorhersage recht behalten: Es wird langsam verdammt heiß, doch das ist mir lieber als Regenwetter. Mein Strohhut löst sich allmählich auf, ich werde mir einen neuen anschaffen müssen. Bei dieser starken Sonnenbestrahlung muss ich meinen kahlen Kopf schützen.
    Ranchal durchwandert und weiter. Ich werde Tag für Tag zuversichtlicher, dass ich mein Ziel erreiche. Santiago de Compostela? Dahin komme ich auf jeden Fall, ist ja nur ein Klacks. Aber ich möchte noch weiter. Es soll die längste Wanderung meines Lebens werden. Saint-Vincent-de-Reins durchwandert und weiter.
    In Cublize gerate ich zufällig auf den bodenständigen „Camping muncipal“ statt in eine durch Reklameschilder beworbene Camping-Luxus-Location. Ich habe es nicht bereut.
    Während man in Deutschland auf Campingplätzen für eine warme Dusche meist einen Chip benötigt, oder wegen des knappen Zeittaktes zwei, ergießt sich in Frankreich auf den Duschwilligen oft nahezu kochendes Wasser - gratis und unregulierbar.
    Wer im Freien übernachtet, ist auf dem harten Boden der Realität angekommen. Nebenan sitzen die Nachbarn vorm Caravan beim Anis. Sie verbringen hier ihr

Weitere Kostenlose Bücher