Held von Garathorm
beugte sich aus ihrem Sattel und trennte die Hand vom Gelenk. Faust und Lanze fielen auf den Boden. Der Stumpf, aus dem das Blut schoß, führte die Wurfbewegung fort. Erst jetzt wurde dem Krieger mit den Stahlzähnen bewußt, was geschehen war, und er wimmerte. Ilian kümmerte sich nicht mehr um ihn. Sie ritt einer Kämpferin zu Hilfe, die neben ihrem toten Vayna stand und verzweifelt versuchte, die Schwerthiebe von drei Männern mit Schuppenhaut (die jedoch völlig unterschiedlich gekleidet waren) abzuwehren. Ilian trennte den Schädel eines der Reptilmänner vom Rumpf, stürzte den zweiten vom Pferd und stach dem dritten die Klinge ins Herz. Das Mädchen lächelte ihr dankbar zu, ehe sie die ihr entfallene Flammenlanze aufhob und auf eine offene Tür zurannte.
Und dann hatte Ilian mit etwa zwanzig ihrer Leute den Stadtplatz erreicht.
„Wir sind durch!" rief sie triumphierend.
Doch nun kamen die Chaoskrieger, die sich nicht am Reiterangriff beteiligt hatten, aus allen Häusern gestürzt, und schon war Ilian wieder von Feinden bedrängt.
Und wieder lachte sie jubelnd, als ihr blitzendes Schwert Leben um Leben nahm.
Die Sonne machte sich daran, hinter den Wäldern unterzugehen.
„Beeilt euch!" rief Ilian ihren Gefährten zu. „Laßt uns die Entscheidung herbeiführen, ehe die Nacht anbricht und die Dunkelheit uns die Arbeit erschwert."
Die restlichen gegnerischen Kavalleristen waren zurück auf den Platz gedrängt worden. Die übrigen feindlichen Krieger begannen sich zu dem großen Gebäude zurückzuziehen, in dem Ilian geboren war und das Ymryl seinen „Palast" nannte. In diesem Haus war es auch gewesen, wo Ilian unter unerträglichen Folterqualen das Versteck ihres Bruders preisgegeben hatte.
Einen Augenblick verdrängte finstere Verzweiflung Ilians Hochgefühl, und sie hielt an. Die Schlachtgeräusche um sie schienen zu verstummen, alles vor ihren Augen schien zu verschwimmen. Sie sah nur Ymryls Gesicht vor sich, fast jungenhaft in seinem Ernst, als er sich über sie beugte und fragte: „Wo ist er? Wo ist Bradne?"
Und sie hatte es ihm verraten!
Ilian zitterte. Sie senkte das Schwert, ohne auf die Feinde rings um sie zu achten. Fünf gräßlich mißgestaltete Kreaturen, deren Gesichter und sichtbare Haut mit riesigen Warzen bedeckt waren, versuchten sie anzuspringen, griffen nach ihr. Sie spürte ihre scharfen Krallen, die durch die Glieder ihres Kettenhemdes drangen. Sie blickte über sie hinweg.
„Bradne.", murmelte sie.
„Seid Ihr verwundet, Mädchen?" Katinka van Bak eilte herbei. Ihre Axt landete auf einem Schädel, die Keule zerschmetterte eine Schulter. Die warzigen Gegner quiekten. „Was ist mit Euch?"
Ilian riß sich aus ihren düsteren Erinnerungen und hieb mit dem Schwert hinab auf einen warzenbedeckten Leib. „Alles wieder in Ordnung", versicherte sie Katinka.
„Es sind noch etwa hundert übrig!" rief Katinka van Bak ihr zu. „Sie haben sich im Haus Eures Vaters verbarrikadiert. Ich bezweifle, daß es uns gelingt, sie noch vor Anbruch der Dunkelheit herauszuholen."
„Dann müssen wir Feuer an das Haus legen", sagte Ilian kalt. „Und sie ausräuchern."
Katinka runzelte die Stirn. „Das gefällt mir nicht. Selbst ihnen sollte man die Gelegenheit bieten, sich zu ergeben."
„Verbrennt sie und verbrennt das Haus! Verbrennt es!" Ilian wirbelte ihren Vayna herum und sah sich auf dem Platz um. Er war mit Leichen bedeckt. Von ihren eigenen Leuten waren noch etwa fünfzig übrig. „Das wird uns weiteren Kampf ersparen. Oder nicht, Katinka van Bak?"
„Das wohl, aber."
„Und die Leben unserer Leute, die uns noch geblieben sind?"
„Ja." Katinka sah Ilian an, aber das Mädchen wandte das Gesicht ab. „Ja. Aber was ist mit dem Haus selbst? Eure Familie hat seit Generationen darin gelebt. Es ist das prächtigste Gebäude von Virinthorm, ja selbst in ganz Garathorm ist kaum ein schöneres zu finden. Sein Holz ist kostbar. Viele der Baumarten, aus deren Holz es errichtet ist, gibt es nicht mehr."
„Verbrennt es! Ich könnte dort nicht mehr leben!"
Katinka seufzte. „Ich werde den Befehl geben, obgleich es mir nicht behagt. Wollt Ihr mir nicht gestatten, unseren Feinden eine Chance zu geben, mit leeren Händen herauszukommen?"
„Sie kannten kein Erbarmen mit uns."
„Aber wir sind nicht sie. Moralisch."
„Ich will im Augenblick nichts von Moral hören!"
Katinka van Bak übermittelte Königin Ilians Befehl.
2.
EIN UNMÖGLICHER TOD
Die Gesichter der jungen Männer und
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