Heldenklingen
Bruder. Nicht mehr der feigere, verräterischere, lügnerische. Er genoss sogar das Puckern in seiner linken Hand, wo er sich die Knöchel an Zehnwegs Kettenhemd aufgescheuert hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich … mutig.
»Was ist da oben geschehen?« Ohne Vorwarnung drang Gründigs Stimme aus der Dunkelheit, aber Calder war dennoch nicht überrascht.
Er seufzte. »Ich habe einen Fehler gemacht.«
»Dann mach mal besser nicht noch einen«, ertönte Hohls quengliger Ton von der anderen Seite.
Dann wieder Gründig. »Du denkst doch nicht darüber nach, morgen zu kämpfen, oder?«
»Doch, das tue ich.«
Zischendes, zweistimmiges Einatmen. »Kämpfen?«, wiederholte Gründig.
»Du?«, hakte Hohl nach.
»Los, lass uns abhauen. Wir können zehn Meilen von hier entfernt sein, bevor die Sonne aufgeht. Es gibt keinen Grund …«
»Nein«, sagte Calder. Das kam überhaupt nicht in Frage. Er konnte nicht abhauen. Der Calder, der er noch vor zehn Jahren gewesen war, der ohne nachzudenken den Tod von Forley dem Schwächsten befohlen hatte, der hätte sich schon längst das schnellste Pferd gestohlen und wäre davongaloppiert. Aber nun gab es Seff und ein ungeborenes Kind. Wenn Calder blieb, um für seine Dummheit zu bezahlen, dann würde Dow es vermutlich damit genug sein lassen, ihn vor einer johlenden Menge in Stücke zu reißen, aber er würde Seff verschonen, damit Reichel fortan in seiner Schuld stand. Wenn Calder aber floh, dann würde Dow sie hängen lassen, und das konnte er nicht zulassen. Das konnte er einfach nicht.
»Kann ich nicht empfehlen«, sagte Gründig. »So eine Schlacht, meine ich. So was ist nie eine gute Idee.«
Hohl schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Bei den Toten, wenn man einen Mann töten will, dann macht man das, wenn er gerade in die andere Richtung guckt.«
»Dem kann ich nur aus tiefster Seele zustimmen.« Gründig nickte eifrig. »Ich dachte, da wärst du derselben Meinung.«
»War ich auch.« Calder zuckte die Achseln. »Die Dinge ändern sich.«
Von allem abgesehen, was er sonst noch sein mochte, war er in erster Linie Bethods letzter überlebender Sohn. Sein Vater war ein großer Mann gewesen, und er wollte nicht, dass die Erinnerung an ihn durch eine feige Witzfigur verdorben wurde. Scale mochte ein Idiot gewesen sein, aber immerhin hatte er die Würde besessen, in der Schlacht zu fallen. Und es war besser, seinem Beispiel zu folgen, als bis in irgendeine verlassene Ecke des Nordens gejagt zu werden und dort um die wertlose Haut zu betteln.
Doch Calder konnte vor allem deswegen nicht fliehen, weil … weil er all diesen Wichsern in den Arsch treten wollte. Zehnweg und Golding und Eisenkopf. Dem Schwarzen Dow. Und ja, auch Curnden Kropf. Er hatte es satt, dass man über ihn lachte. Dass man ihn einen Feigling nannte. Und er hatte es satt, einer zu sein.
»Wir kämpfen nicht in Schlachten«, erklärte Hohl.
»Und wir können auch nicht auf dich aufpassen, wenn du es dir in den Kopf gesetzt hast, morgen dabei zu sein«, fügte Gründig hinzu.
»Das habe ich auch nicht erwartet.« Calder wandte sich ab und ließ die beiden in der Dunkelheit hinter sich, ohne sich noch einmal umzusehen. Er folgte dem Pfad zu Clails Mauer, vorbei an Männern, die ihre Hemden flickten, ihre Waffen polierten und darüber sprachen, welches Schicksal ihnen morgen wohl bevorstehen mochte. Kein allzu gutes, darin waren sich die meisten einig. Calder stützte den Fuß auf ein eingesunkenes Mauerstück und grinste zu der Vogelscheuche hinüber , die schlapp und traurig an ihrem Stecken hing. »Mach nicht so ein langes Gesicht«, sagte er zu ihr. »Ich gehe nirgendwo hin. Das hier sind meine Männer. Das ist mein Land.«
»Na, wenn das mal nicht Faustschlag-Calder ist, der Prügelprinz!« Schneebleich trat großspurig aus der Nacht. »Unser edler Anführer kehrt zurück! Dachte schon, du wärst uns abhandengekommen.« Das war offensichtlich eine Möglichkeit, die ihn nicht besonders traurig gestimmt hätte.
»Ich muss zugeben, dass ich durchaus darüber nachgedacht habe, mich in die Berge zu schlagen.« Calder schob die Zehen in seinem Stiefel hin und her und genoss diese Bewegung. Er genoss eine Menge kleiner Dinge in dieser Nacht. Vielleicht war das so, wenn man seinem Tod ins Auge sah. »Aber in den Bergen wird es um diese Jahreszeit ja schon mächtig kalt.«
»Dann ist wohl das Wetter auf unserer Seite, was?«
»Wir werden sehen. Danke, dass du dein Schwert für mich gezogen
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