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Heldenklingen

Heldenklingen

Titel: Heldenklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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legte ihr die Hand auf die Schulter. »Es fühlt sich vielleicht so an, aber …«
    »Es fühlt sich ganz bestimmt so an. Ich habe ihn erstochen, mit einem kurzen Eisen, das ich zuvor einem unserer Offiziere gestohlen hatte. Ich habe ihm die Klinge ins Gesicht gerammt. Ins Gesicht. Also. Ich habe einen erwischt, würde ich sagen.«
    »Finree …«
    »Werde ich verrückt?« Sie lachte schnaubend auf, so blöd klang das. »Es könnte viel schlimmer sein. Ich sollte mich glücklich schätzen. Ich konnte nichts tun. Was kann man überhaupt tun? Was sonst hätte ich tun sollen?«
    »Nach dem, was du durchgemacht hast, würde sich nur ein Verrückter noch halbwegs so fühlen wie sonst. Versuche so zu tun, als ob … es ein ganz normaler Tag wäre, wie jeder andere.«
    Sie holte tief Luft. »Natürlich.« Dann versuchte sie es mit einem Lächeln, von dem sie hoffte, dass es eher beruhigend als verrückt aussah. »Es ist ein Tag wie jeder andere.«
    Auf dem Tisch stand eine hölzerne Schale mit Früchten. Sie nahm sich einen Apfel. Halb grün, halb blutfarbig. Sie sollte essen, solange sie konnte. Ihre Kraft erhalten. Es war schließlich nur ein Tag wie jeder andere.
    Draußen war es noch immer dunkel. Wächter standen im Fackellicht. Sie verstummten, als sie vorüberging, und folgten ihr mit ihren Blicken, taten aber so, als würden sie gar nicht hinsehen. Sie hätte am liebsten auf sie gekotzt, aber stattdessen versuchte sie zu lächeln, als sei es nur ein Tag wie jeder andere. Außerdem sahen sie auch nicht genauso aus wie die Männer, die so verzweifelt versucht hatten, die Tore des Gasthofs geschlossen zu halten, während ihnen die Splitter um die Ohren geflogen waren, als die Wilden mit ihren Äxten auf das Holz einschlugen.
    Sie verließ den Pfad und ging den Berghang hinab, den Mantel eng um den Körper geschlungen. Windgepeitschtes Gras erstreckte sich weit in die Dunkelheit. Riedgrasbüschel fassten nach ihren Stiefeln. Ein kahler Mann stand mit flatternden Mantelschößen da und blickte über das düstere Tal. Hinter dem Rücken hatte er eine Hand zur Faust geballt und rieb mit dem Daumen ständig und nervös den Zeigefinger. In der anderen Hand hielt er vorsichtig eine Tasse. Hinter ihm zeigten sich am östlichen Himmel die ersten fleckigen Anzeichen des herannahenden Morgens.
    Vielleicht lag es an den Nachwirkungen der Spreupfeife oder ihrer Schlaflosigkeit, aber nach dem, was sie gestern erlebt hatte, erschien ihr der Erste der Magi gar nicht mehr so furchteinflößend. »Ein neuer Tag!«, rief sie aus, als könnte sie vom Hang in den Himmel segeln, immer höher und höher hinauf. »Ein neuer Tag der Schlacht. Sie müssen doch sehr zufrieden sein, Lord Bayaz!«
    Er verneigte sich kurz. »Ich …«
    »Sagt man ›Lord Bayaz‹, oder gibt es eine passendere Anrede für den Ersten der Magi?« Sie schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, aber der Wind schob sie sofort wieder zurück. »Euer Gnaden, Euer Zaubererschaft oder Euer Magische Hochwürden?«
    »Ich versuche, mich nicht mit solchen Formalien aufzuhalten.«
    »Wie wird man überhaupt zum Ersten der Magi?«
    »Ich war der erste Lehrling des großen Juvens.«
    »Und er lehrte Sie Magie?«
    »Er lehrte mich die Hohen Künste.«
    »Wieso wenden Sie dann nicht ein paar davon an, statt die Menschen kämpfen zu lassen?«
    »Weil es leichter ist, Menschen einen Krieg führen zu lassen. Unter Magie versteht man jene Kunst und Wissenschaft, mittels derer man Dinge dazu bringt, sich anders zu verhalten, als es ihrer Natur entspricht.« Bayaz nahm einen langsamen Schluck aus seiner Tasse und betrachtete Finree über den Rand hinweg. »Das Kämpfen liegt in der Natur der Menschen. Sie haben sich doch hoffentlich von den Schrecken des gestrigen Tages erholt?«
    »Schrecken? Das alles habe ich doch schon fast völlig vergessen. Mein Vater meinte, ich sollte so tun, als sei heute ein Tag wie jeder andere. Und dann wird es vielleicht auch einer sein. Ein ganz normaler Tag, an dem ich fieberhaft versuchen würde, die Karriere meines Mannes voranzutreiben und damit auch meine eigene.« Sie grinste ihn von der Seite an. »Ich bin entsetzlich ehrgeizig.«
    Bayaz’ grüne Augen verengten sich ein wenig. »Eine Eigenschaft, die ich stets bewundert habe.«
    »Meed wurde umgebracht.« Sein Mund, wie er sich still öffnete und wieder schloss, wie bei einem Fisch auf dem Trockenen, und wie er mit den Fingern an dem klaffenden Riss in seiner roten Uniform zupfte, schließlich

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