Heldensabbat
Stelle.
»Heil Hitler!« begrüßt ihn der Alt-Pg, gibt ihm die Hand und fordert ihn auf, Platz zu nehmen. »Nun hör mal zu, Stefan. Laß uns mal wie zwei vernünftige Menschen, aber auch wie zwei Gefolgsleute des Führers miteinander sprechen. Einverstanden?«
»Natürlich, Herr Studienprofessor.«
»Du bist Fähnleinführer, Stefan. Ein Vorbild unserer Staatsjugend. Ein überzeugter junger Nationalsozialist. So kenne ich dich wenigstens – das trifft doch auch heute noch auf dich zu?«
»Jawohl, Herr Studienprofessor.«
»Wir untersuchen Äußerungen eines potentiellen Feindes unserer Bewegung«, erklärt Pfeiffer. »Eines Volksschädlings. Und das ist dummerweise Dr. Faber. Gewiß: Der Mann sieht prima aus. Er ist sportlich. Er ist jung. Er verfügt über Witz, er trifft den richtigen Umgangston mit euch, und ihr mögt ihn deshalb.«
Stefan nickt.
»Aber die Sache sieht wohl anders aus, wenn du dich zwischen dem Führer und Dr. Faber entscheiden mußt, und das mußt du, Stefan, denn du weißt so gut wie ich, daß er sich gegen Adolf Hitler stellt.«
Der Fähnleinführer schweigt immer noch.
»Gut«, erwidert der Alte Kämpfer und gibt Bruckmann einen Wink.
Richard Braubach, der Mitschüler und Kronzeuge, schiebt sich aus dem Nebenraum zögernd in das Vernehmungszimmer. Er wirkt unsicher. Seine Augen sind auf der Flucht. Im ersten Moment denkt Stefan Hartwig: Dieser Braubach ist doch selbst noch zu dumm, sich aus dieser dämlichen Sache herauszuhalten. Erst als der Mitschüler mit seiner Aussage beginnt, stockend, leise, begreift der Primus, daß Braubach nicht aus Fahrlässigkeit, sondern aus Berechnung Dr. Faber angeschwärzt hat.
Judas, denkt er, Judas 1939, und das erschlichene Reifezeugnis sind die dreißig Silberlinge. Stefan spürt, wie ihm der Magensaft in den Mund schießt, und er muß sich gewaltsam dagegen wehren, ihn nicht auszuspucken. In diesem Moment überlegt er nicht, daß er ja für die Ziele der Bewegung eintritt und diese mit allen Mitteln fördern will. Er kann einfach Versager nicht leiden, die sich durch Verpetzen weiterbringen wollen.
»Weiter!« sagt Studienprofessor Pfeiffer freundlich. »Wie war das mit Hjalmar Schacht?«
Braubach überlegt, kommt nicht weiter, holt einen Zettel aus der Tasche. »Ach ja«, sagt er dann und liest ab: »Schacht, der Erfinder der stabilen Inflation.«
»Eine klare Aussage«, stellt Oberstaatsanwalt Rindsfell fest. »Und ein Delikt im Sinne des Heimtückegesetzes. Eine Gedächtnisstütze für Sie, Herr Hartwig. Erinnern Sie sich jetzt an den Zwischenfall?«
»Nein«, entgegnet Stefan. »Nur verschwommen.« Er sieht, daß drei gegen ihn stehen. »Verdammt noch mal«, setzt er gereizt hinzu. »Ich war blau. Ich trink' doch sonst nie, und –«
»Ein guter Nationalsozialist ist niemals geistig weggetreten. Er ist stets im Dienst«, behauptet Pfeiffer. Er klopft Braubach auf die Schulter. »Gut, daß es in euren Reihen auch Wachsame gibt. – Nun sei ein Mann, Stefan.«
»Ein wenig dämmert mir jetzt die Geschichte«, versetzt dieser. »Aber ich erinnere mich nicht an Einzelheiten.« Er fixiert den unauffälligen, farblosen Braubach. »Außerdem mache ich mir an einem Saufabend keine Notizen.«
Oberstaatsanwalt Rindsfell schüttelt den Kopf, aber der Alt-Pg gibt nicht auf: »Noch eine Frage, Stefan: Hältst du Faber für einen verläßlichen Nationalsozialisten?« Er sieht, daß er den Fähnleinführer in Verlegenheit gebracht hat. »Ja oder nein?«
»Nein«, sagt Stefan. »Das ist er sicher nicht.«
»Ich denke, das genügt«, entscheidet der Oberstaatsanwalt. »Lassen Sie den Mann unverzüglich festnehmen, Bruckmann. Ich werde Ihnen den richterlichen Haftbefehl umgehend beschaffen.«
»Gut«, entgegnet der Chef der Politischen Polizei. »Ihr könnt gehen«, entläßt er die beiden Jungen.
Sie laufen nebeneinander her, in 2 Meter Abstand, ohne ein Wort miteinander zu sprechen. Sie erreichen den Obstmarkt, gehen in die Adolf-Hitler-Straße weiter. Als sie den langen Hausflur, der in die Fahrradhandlung mündet, erreicht haben, tritt Stefan an Braubach heran, drängt ihn in das Halbdunkel ab. »Du bist also der Dreckskerl«, sagt er mit wildem Zorn.
»Was hast du denn, Stefan?« erwidert Braubach mit kippender Stimme.
Der Primus antwortet mit beiden Fäusten; sie schlagen wie Dreschflegel auf den Denunzianten ein, er geht zu Boden und bleibt wimmernd liegen. Stefan gibt ihm noch einen wuchtigen Tritt mit dem Fuß, dann geht er weiter,
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