Heldensabbat
Tante Gunda«, erwidert der Gast. »Das kann man nicht.«
»Das mußt du aber im Staatsdienst immer wieder. Und was willst du machen? Nicht die Beamten sind schlecht, sondern dieses System taugt nichts. Und wenn die Nazis eines Tages zum Teufel gehen, dann kommt bestimmt der nächste Schwur.«
»Zu dem würde ich allerdings voll und ganz stehen. Wenn es nur schon soweit wäre!«
Das Telefon unterbricht theoretische Hoffnungen. Tante Gunda hebt den Hörer ab. »Für dich, Hans«, sagt sie, »dein Freund Claus Benz –«
»Paß auf, Hans«, sagt Claus ohne Begrüßung. »Stell keine Fragen, capito?«
»Ja.«
»Du bleibst, wo du bist, und wartest auf mich. Du führst kein Telefongespräch. Ich hole dich ab. Es kann schon drei, vier Stunden dauern, aber ich komme bestimmt. Verstanden?«
»Ja«, antwortet Hans Faber betroffen.
»Also, auf bald.«
»Unangenehm?« fragt die Schwester seiner Mutter, als er aufgelegt hat.
»Ich fürchte«, erwidert er. »Vielleicht komm' ich schon sehr bald auf dein Angebot zurück und übernehm' wirklich das Gut – nicht weil ich will, sondern weil ich muß.«
»Also politisch«, antwortet die Gastgeberin.
»Lass uns von was anderem sprechen«, erwidert Hans Faber. »Und vor allem nicht so schwarz malen, bevor ich nicht wirklich weiß, was los ist.« Er hat keine ganz klare Erinnerung mehr an den gestrigen Abend, aber irgendwie wirft er sich den ganzen Tag schon vor, daß er sich einen Moment lang hat gehen lassen.
Kurz nach Einbruch der Dämmerung trifft der Oberleutnant des Wehrbezirkskommandos in Dettelbach ein. In Uniform. Faber braucht den Freund seiner Tante nicht vorzustellen; sie haben hier schon manches Weinfest miteinander gefeiert.
Claus gibt sich lässig und gutgelaunt, aber irgendwie zieht er heute sein verkürztes Bein besonders deutlich nach, und das nimmt Hans als sicheres Zeichen, daß etwas faul ist.
»Haben Sie Beschwerden, Herr Benz?« fragt Tante Gunda.
»Ich habe mich daran gewöhnt«, antwortet er. »Nur das Bein hat sich noch immer nicht ganz an mich gewöhnt.«
»Ein Glas Wein trinken Sie doch mit uns?« fragt die Witwe.
»Eines«, versetzt der Besucher und zwingt sich, nicht auf die Uhr zu sehen. »Nur eine Bitte, Tante Gunda«, sagt er dann. »Ganz egal, wer Sie morgen vielleicht danach fragen wird: Ihr Neffe hat sie besucht und ist dann«, jetzt sieht Claus Benz auf die Uhr, »gegen einundzwanzig Uhr dreißig zum letzten Bus nach Mainbach gegangen. Allein.«
»Ja«, erwidert die Gastgeberin betroffen. »Wenn Sie das sagen, Herr Benz –«
»Ich war nicht hier«, erklärt er weiter. »Mich haben Sie also nicht gesehen. Darum ist Hans auch nicht in meinen Wagen gestiegen.«
»Ich verstehe«, entgegnet die Winzerin. »Ist es denn so – so schlimm?«
»Gar nicht schlimm«, beteuert der Oberleutnant, »wenn Sie meiner Bitte folgen.«
Die Frau mit den grauen Haaren betrachtet ihren Neffen verwirrt.
»Tu bitte, Tante Gunda, was dir Claus sagt«, fordert Hans sie auf. »Auf meinen Freund kannst du dich verlassen. Und er ist ein ganz gerissener Jurist.« Er umarmt seine Tante zum Abschied.
Sie sitzen im Wagen, fahren los, aber nicht dem Main entgegen, sondern flussabwärts.
»Falsche Richtung, Claus«, stellt Faber fest.
»Das denkst du«, erwidert der Freund. »Wir müssen nach Würzburg. Und nun hör mir gut zu. Erst einmal herzliche Grüße von Sibylle. Sie läßt dich bitten, keine langen Überlegungen anzustellen, sondern auf unseren Vorschlag einzugehen.«
»Euren Vorschlag?« fragt der Pädagoge verständnislos.
»Ja. Auf eine Entscheidung, die Robert, Sibylle und ich für richtig halten.«
»Und warum ist Sibylle nicht selbst mitgekommen?«
»Weil du gestern Abend auf der Fete deine Zunge nicht im Zaum gehalten hast; sie braucht ein Alibi, denn sie darf in die Sache nicht verwickelt werden.«
»Der Witz von gestern Abend?« fragt Faber. »Ich mach' mir schon den ganzen Tag deswegen Vorwürfe –«
»Beknirsch dich nicht«, entgegnet der Freund. »Einmal muß es sein. Man kann sich nicht unentwegt beherrschen. Wenn du einen Strom staust, ohne Wasser abzulassen, kommt es unweigerlich eines Tages zum Dammbruch. Mir geht's genauso. Nur hab' ich immer Glück gehabt, wenn die Mauer Risse hatte. Studienprofessor Pfeiffer hat auf dich einen Spitzel angesetzt. Du mußt davon ausgehen, daß er schon seit Monaten Berichte über dich geliefert hat. Der köstliche Witz von gestern war nur noch das Tüpfelchen auf dem i. Jedenfalls ist
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