Heldensabbat
jetzt die Politische Polizei hinter dir her.«
»Jetzt schon?« fragt Faber mit gepresster Stimme.
»Es wurde ein Haftbefehl gegen dich erlassen. Übrigens: Komplimente für deine Klasse. Ich hab' nie begreifen können, warum du dich so für die Jungen einsetzt und dabei so viel riskierst – ausgerechnet in diesem Moment darf ich dir sagen: Es hat sich gelohnt. Sie sind phantastisch, alle. Bis auf den Spitzel stehen sie geschlossen hinter dir. Auch die HJ-Führer. Stefan Hartwig zum Beispiel, der Fähnleinführer, hat Braubach –«
»Den Spitzel?«
»– den Spitzel Braubach am hellen Tag in der Adolf-Hitler-Straße für die Denunziation jämmerlich zusammengedroschen. Bereits heute morgen um neun Uhr hat Sibylle die erste Warnung erhalten. Bis Mittag waren es ein halbes Dutzend. Dein künftiger Schwager Rolf hat mit den vernommenen Mitschülern gesprochen, unsere Informationen sind auf dem neuesten Stand.«
»Mein Gott, Sibylle –«, sagt Faber.
»Sie benimmt sich großartig«, erklärt Claus. »Ich soll dir ausdrücklich sagen: Sie versteht dich.«
»Und?«
»Auch das soll ich dir ausdrücklich sagen: Sie hat dich lieb.«
Der Freund schweigt wie erschlagen, während sie Rottendorf, den letzten Ort vor Würzburg, durchfahren.
»Und wie geht das jetzt weiter?« fragt Faber mit Sand zwischen den Zähnen. »Wenn ich in Mainbach auftauche, nehmen mich die doch sofort fest.«
»Wenn du nicht in Mainbach auftauchst, auch, denn sie schreiben dich sicher im ganzen Reichsgebiet zur Fahndung aus«, erwidert der Oberleutnant. »Es sei denn, du nimmst den Notausgang.« Er betrachtet den Freund von der Seite. »Ist der Groschen gefallen?«
Der Pädagoge nickt.
»In meinem Wagen ist eine Aktentasche mit Waschzeug, Utensilien, etwas Geld – und einem Einberufungsbefehl zu einem Panzerlehrbataillon, das zur Zeit in Mecklenburg einer Spezialausbildung unterzogen wird. Du meldest dich dort morgen zum Dienstantritt, wo dich garantiert keiner suchen –«
»Aber doch wohl eines Tages finden wird.«
»Sicher, aber bis zu diesem Tag bist du aus dem Schneider.«
»Aber der Trick kommt doch auf.«
»Er wird schon deswegen aufkommen, weil ich, mit beträchtlicher Verspätung natürlich, dem Gymnasium Mainbach melden werde, daß du eingezogen wurdest, und zwar wegen einer Schlamperei bei uns gewissermaßen über Nacht.«
»Ich soll also jetzt wieder Soldat spielen?«
»Du mußt es, Hans«, erklärt der Freund. »Das ist der einzige Ort, wo sie dich garantiert nicht suchen werden.«
»Aber wenn du es ihnen mitteilst, bringst du dich doch selbst in die Bredouille.«
»Unterschätz mich nicht. Ich will dir mal was sagen: Wir arbeiten zur Zeit mit Hochdruck. Wir mussten ungelernte Aushilfskräfte anstellen. In der vorigen Woche hat ein Mann den Gestellungsbefehl erhalten, der schon vor neun Jahren gestorben ist, und gestern wurden versehentlich zwei Mädchen zu den Pionieren einberufen, bei denen man das Geschlecht verwechselt hatte. Es geht drunter und drüber bei uns, wenigstens momentan. Deine Einberufung sollte schon vor drei Monaten erfolgen. Dr. Schütz, dein Rex, hat uns dazu ja förmlich aufgefordert. Aber dieser Brief ist falsch abgelegt worden, und um die Scharte auszuwetzen, setzen wir dich jetzt, Hals über Kopf, nach Mecklenburg in Marsch.«
»So einfach ist das«, erwidert Faber.
»Der Gestellungsbefehl ist nicht von mir, sondern von Hauptmann Stumm unterschrieben, meinem Vorgesetzten, einem hundertprozentigen Parteigenossen übrigens. Drei Wochen zurückdatiert. Ich hab' ihm den Wisch einfach unter viele andere geschmuggelt. Wenn Mainbachs Politische Polizei erfährt, wo sie dich findet, bist du ihrem Zugriff entzogen. Sie kann dich in kein KZ mehr schaffen und auch nicht wegen Heimtücke belangen. Sie muß das auf dem Dienstweg der Militärverwaltung melden, die dann entscheidet, ob sie Tatbericht bei einem Kriegsgericht einleiten wird. Das hängt in erster Linie von der Einheit ab, bei der du bist, aber Major von Pringsheim, ein alter drahtiger Kavallerieoffizier, macht mir nicht gerade den Eindruck, daß er mit dem Parteibuch unter dem Kopfkissen schläft. Vermutlich ist bis dahin ohnedies Krieg, dann hat er andere Sorgen und braucht jeden Mann.«
»Das ist mir zu spekulativ, Claus«, erwidert der Freund. »Und wenn's schief läuft, dann hängst du – und das will ich nicht: Ich werde mich stellen.«
»Einen Dreck wirst du tun«, fährt ihn der Oberleutnant an. »Du wirst nur deinen Verstand
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