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Heldensabbat

Heldensabbat

Titel: Heldensabbat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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nach Jahren von sich und seinen Kollegen aufsagen wie eine Filmdiva die Liebhaber ihrer Rivalin, und so wissen die Augenzeugen der Verhandlung, daß der Rechtsanwalt dabei ganz vorne steht und der Oberstaatsanwalt weit hinten liegt.
    Dr. Hartwig wirkt abgespannt; sein Gesicht, von Falten plissiert, ist ein Index schlafloser Nächte. Strafverteidiger haben es im Dritten Reich schwer. Meistens sind sie nur ein Feigenblatt des Unrechts. Der Staat ist allmächtig. Die in der Strafprozeßordnung zum Schutz der Angeklagten vorgesehenen Rechtsbeistände sind zwangsläufig oft nur Advokaten leerer Gesten. Bis zu einem Jahr kann der Oberreichsanwalt ein rechtskräftiges Urteil einfach aufheben, davon abgesehen, daß die meisten der Beschuldigten ohne jede Verhandlung bei Nacht und Nebel in Konzentrationslager gesperrt werden. Die Binde, die Justitia, die Göttin der Gerechtigkeit, über den Augen trägt, ist in den braunen Jahren die Hakenkreuzbinde.
    Da Dr. Hartwig sich nicht damit abfindet, stumm zu bleiben und allenfalls um mildernde Umstände zu bitten, wird sein Beruf zu einer unerträglichen Last. Er ist überarbeitet. Man sieht dem Rechtsanwalt an, daß es ihm nur mit Mühe gelingt, sich zu konzentrieren. Noch gibt sich sein Gegenspieler fast gewaltsam beherrscht; erst wenn er den kürzeren zieht, wird der mittelgroße, militant wirkende Mann mit der schmalen, fast fleischlosen Nase ausfällig und tritt dann so ziemlich in jede Falle seines Gegners.
    Der Vorsitzende hat den Angeklagten zur Person und zur Sache vernommen. Kahlert ist voll geständig. Er hat in angetrunkenem Zustand in einem offenen Wagen eine Aktentasche liegen sehen und sie fast ohne Überlegung an sich genommen; er wurde schon an der nächsten Ecke gefaßt. Bereits in der Voruntersuchung hatten Zeugen ausgesagt, daß der Angeklagte vor der Tat in einer Gastwirtschaft ›mindestens sieben oder acht Bier und einige Schnäpse‹ getrunken hatte.
    »Sie sind schon wegen Diebstahls vorbestraft«, geht Rindsfell zum Angriff über.
    »Ja«, erwidert Kahlert mit gesenktem Kopf. »Vor fünf Jahren, da – da hab' ich ein Fahrrad gestohlen.«
    »Dafür haben Sie drei Monate Gefängnis erhalten«, erwidert Rindsfell. »Die Strafe war deswegen so niedrig, weil Sie gelobt hatten, künftig als anständiger Mensch zu leben.« Er schiebt sich in Positur: »Haben Sie das getan, Angeklagter?«
    »Ja«, entgegnet der Dreiundzwanzigjährige. »Ich habe gearbeitet und –«
    »Nein«, brüllt der Oberstaatsanwalt. »Sie sind rückfällig geworden. Sie haben einen Hang zur Kriminalität in sich. Jetzt sperrt man Sie wieder ein, und falls Sie dann herauskommen, lauern Sie nur auf die nächste Gelegenheit.«
    »Nein, Herr Oberstaatsanwalt, ganz bestimmt nicht«, beteuert Kahlert mit treuherziger Hilflosigkeit.
    »Wie beim letzten Mal«, versetzt Rindsfell abweisend und wendet sich an den Vorsitzenden: »Ich möchte dem Hohen Gericht jetzt schon mitteilen, daß ich bei diesem Täter in meinem Plädoyer Sicherheitsverwahrung beantragen werde.«
    Der Richter schweigt, seine Augen suchen den Verteidiger.
    »Das ist ja lächerlich«, kontert Dr. Hartwig, von seinem Sitz hochfahrend. »Sie wollen einen Mann wegen einer Jugendsünde und wegen eines Gelegenheitsdiebstahls, begangen im erwiesenen Zustand stark verminderter Zurechnungsfähigkeit, zum Verbrecher stempeln, zu einem Gewohnheitstäter, und –«
    »Jawohl, Herr Dr. Hartwig«, prallt der Oberstaatsanwalt jetzt auf seinen eigentlichen Gegner. »Ich vertrete hier das Reich. Und ich beantrage, was ich will, und nicht, was Sie möchten. Die nationalsozialistische Rechtsauffassung verlangt eine exemplarische Bestrafung – ein Gewohnheitsverbrecher ist für immer hinter Schloß und Riegel zu bringen.«
    »Bei dieser Kopf-ab-Justiz können Sie ja gleich die Todesstrafe fordern«, erwidert der Verteidiger gereizt.
    Die Unruhe im Zuhörerraum löst sich in einem befreienden Lachen, das sofort wieder unter der erhobenen Hand des Vorsitzenden erstickt.
    »Das werden wir auch eines Tages tun«, versichert Rindsfell mit überschwappender Stimme. »Volksschädlinge haben keinen Platz in unserer Volksgemeinschaft. Sie gehören ausgemerzt, und wir lassen uns von niemandem dabei aufhalten! Und schon gar nicht von bedenkenlosen Anwälten, die sich noch vor sie stellen.«
    »Die juristische Beurteilung einer so wahnwitzigen Äußerung«, erwidert Hartwig mit einer knappen Verbeugung zum Richtertisch, »möchte ich den Herren Richtern

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