Heldensabbat
Vierzehn, dadurch soll ausgeschlossen werden, daß es zu einer Verwechslung von Rumpf und Kopf kommt. Wenn man die Morituri auf das Brett schnallt, erfassen sie noch mit einem letzten Blick die Gefäße, in denen ihr Blut aufgefangen wird.
»Scharfrichter, walten Sie Ihres Amtes!« sagt dann der Vertreter des Staates, einer seiner schrecklichen Juristen.
Der Henker drückt auf den Kopf. »Herr Oberstaatsanwalt«, meldet er darauf stramm, »das Urteil ist vollstreckt.«
Während es der Arzt bestätigt und amtlich die Sterbeminute in den Totenschein einträgt – in Brandenburg herrscht Ordnung –, ist der Geistliche schon beim nächsten und betet mit ihm halblaut: »… und vergib uns unsere Schuld – wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.«
Dreizehnmal knallen die Holzpantinen gegen die Wand, dann ist Dr. Hartwig an der Reihe, mit gefesselten wie gefalteten Händen, und es geht bei ihm genauso schnell wie bei den anderen. Die Zahlen werden verglichen, Kopf und Rumpf in den Fichtensarg gebettet, die Blutkonserven verschlossen. Der Witwe, die noch nicht weiß, daß sie Witwe ist, wird später mitgeteilt werden, daß die Urne im Städtischen Friedhof Brandenburg, Quartier HI II, Grabstelle 35, beigesetzt wurde, daß für die Vollstreckung des Todesurteils eine Gebühr von 1300 Reichsmark anfällt, zahlbar sofort, und daß ihr nicht das Recht zusteht, in einer Zeitungsanzeige den Tod ihres Mannes bekannt zu geben.
Acht Tage nach der Hinrichtung Dr. Hartwigs – von der in Mainbach noch niemand weiß – findet im Reservelazarett im Priesterseminar am Heinrichsdamm eine Begegnung statt, die der vor kurzem hierher verlegte Rekonvaleszent Stefan seit langem fürchtet: Sibylle Faber besucht ihn ohne Voranmeldung. Sie bringt ein paar Blumen mit, ist natürlich und frisch wie immer, nur das Schwarz, das sie trägt, wirkt fremd, doch zeitgemäß. In Deutschland sind längst die Jahre der jungen Witwen angebrochen.
»Du, Sibylle?« sagt Stefan und richtet sich mühsam im Bett auf, als fiele es ihm noch immer schwer.
»Du bist spitz im Gesicht«, sagt die junge Frau und reicht ihm die Hand. »Und auch noch ziemlich blaß.«
»Das wird sich schon wieder ändern«, entgegnet der Patient und setzt mit einem durchsichtigen Lächeln hinzu: »Die russische Artillerie schießt eben doch nicht so schlecht, wie es bei uns in den Zeitungen steht.«
Sibylle hebt den Kopf, sieht ihn voll an: Stefan spricht wie Hans. Einen Moment ist die junge Frau stolz darauf, daß es ihrem Mann gelungen ist, seinen besten Schüler nach seinem Vorbild zu formen. Dann spürt sie wieder schmerzhaft, daß sie Hans verloren hat. Elf Monate Zeit sind zu kurz, um sich daran zu gewöhnen, sie wird es wohl nie fertig bringen, auch wenn der Kleine Sibylle mit den Augen seines Vaters ansieht und schon die gleichen Bewegungen erkennen läßt: Hänschen ist ein Trost, doch kein Ersatz. »Aber es geht dir doch schon besser, Stefan?« fragt sie besorgt.
»Viel besser«, versichert er. »Die Militärärzte wissen ja, wie man einen Blessierten wieder zusammenflickt. Morgen erhalte ich schon meinen ersten Stadtausgang, aber es pressiert mir nicht besonders«, sagt er und sieht an Sibylle vorbei. »Einer wird mir ganz gewaltig in Mainbach fehlen.«
Die junge Frau erfasst sofort, wen er meint. Sie kämpft gegen die Tränen und versucht, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. »Wir müssen damit fertig werden, Stefan. Wir sind die Hinterbliebenen und müssen uns gegenseitig helfen, so gut es geht. Ich hab' meinen Mann verloren und du deinen Freund – und wenn du morgen deinen ersten Stadtausgang hast, Stefan«, sagt sie, »dann kommst du zu uns und siehst dir unseren Jungen an, dann wirst du erfassen, daß Hans – daß er nicht ganz von uns gegangen ist.« Nach einer kurzen Pause fährt sie fort: »Ich danke dir für deinen Brief, Stefan. Er hat mich, als ich nicht mehr ein noch aus wußte, sozusagen bei der Hand genommen, auch wenn –«, ihr Lächeln wirkt wie eine schwache Sonne, die nicht ganz das Gewölk durchdringen kann, »auch wenn du mich bei der Schilderung des Todes von Hans sehr geschont hast.«
Stefan schweigt verbissen.
»So ist es doch?«
Stefan versucht noch immer, Sibylle auszuweichen. Sie tut sich doch nur selbst weh, überlegt er, warum will sie denn Hansens Sterben im einzelnen kennen? Er hat mich doch so gebeten, daß ich es ihr nicht sage, und ich hab' es ihm versprochen.
»Wie ist es nun wirklich passiert?« fragt
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