Heldensabbat
nur »Spiegelei« genannt, der vermutlich dümmste, sicher aber häßlichste Orden – dumm, weil ihn die erhalten, bei denen es zum Ritterkreuz nicht reicht, und die Hässlichkeit spricht für sich selbst. Der Kommandeur der Panzerersatzabteilung war persönlich im Würzburger Lazarett erschienen und hatte ihm feierlich die Auszeichnung überreicht und mitgeteilt, daß seine Beförderung zum Oberleutnant bereits in der Mache sei. Früher hätte er für Orden und vorzeitige Beförderung einen Arm oder einen Fuß gegeben, jetzt ließ ihn das Heldenblech kalt. Eisernes Kreuz, Deutsches Kreuz, Birkenkreuz – das wahre Kreuz ist dieser Scheißkrieg, denkt Stefan. Vor ein paar Tagen hatte auf der letzten Seite der Zeitung gestanden, daß der Physiker Dr. Christian Maurer gefallen ist, ein Universitätsdozent und Forscher, als Gefreiter in einem Infanterieregiment verheizt. Claudia ist jetzt eine noch jüngere Witwe als Sibylle, dabei war ihre Mutter immer so sehr auf die Sicherheit ihrer Tochter bedacht gewesen, als wäre so etwas in dieser Zeit möglich.
Isolde Hartwig hat den Hausarzt gerufen, der seinem Vater ein Beruhigungs- und ein Kreislaufmittel verabreicht, bevor man ihm die Hiobsbotschaft aus Brandenburg mitteilt. Entgegen der Erwartung seiner Angehörigen nimmt er sie gefaßt, beinahe beruhigt, auf. »Wolf hat ausgelitten«, sagt er. »Ich bin froh. Die Vorstellung, daß er in seiner Zelle wartet und gequält wird – das ist wenigstens jetzt vorbei. Der Herrgott hat ihm jetzt die ewige Ruhe geschenkt.«
»Vater, es ist furchtbar«, erwidert Stefan. »Onkel Wolf hat mit seiner Einstellung zur Partei leider recht behalten.« Er geht in sein Zimmer, wühlt in seinen Papieren.
»Suchst du etwas?« fragt seine Mutter, die auf einmal hinter ihm steht.
»Ja. Das Mitgliedsbuch der NSDAP und das Parteiabzeichen.«
»Wozu brauchst du das jetzt?«
»Bemüh dich nicht, Mama. Ich hab's schon gefunden«, entgegnet Stefan. »Und ich bin auch gleich wieder zurück.«
Es ist nicht weit vom Ostmarkt in das arisierte jüdische Vereinshaus, in dem sich die Partei eingenistet hat. Stefan geht die Treppe hoch, meldet sich auf der Geschäftsstelle. Er wird erkannt und erschrocken betrachtet. Die Anwesenden machen Gesichter, als würden sie sich am liebsten aus dem Zimmer stehlen. In Mainbach hat sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen, daß Rechtsanwalt Dr. Hartwig, der Onkel dieses Offiziers, geköpft worden ist.
Wimmer, die rechte Hand des Kreisleiters Eisenfuß, faßt sich als erster. »Freut mich, dich zu sehen, Stefan«, begrüßt er den Besucher mit einem unterschleifigen Lächeln.
»Das wird sich erst herausstellen«, erwidert der Leutnant grimmig.
»Was kann ich für dich tun?« fragt der Goldfasan.
»Ich möchte meinen Austritt aus der Partei erklären«, entgegnet der Offizier.
»Du bist verrückt, Stefan. Sicher nur eine Kurzschlußreaktion – wegen deines Onkels, aber –«
»Kein Aber«, entgegnet Stefan. »Ich habe lange darüber nachgedacht. Es ist endgültig und unwiderruflich.«
»Moment mal, Junge«, erwidert Wimmer. »Mach keine Dummheit. Der Bannführer ist zufällig im Hause, sprich mit ihm, bevor du etwas unternimmst.«
Auch Greifer hat ein verlegen-verlogenes Lächeln im Gesicht, als er den Besucher begrüßt: »Mensch, Stefan, jetzt auch noch das Deutsche Kreuz in Gold. Gratuliere! Du machst uns wirklich alle Ehre.«
»Laß den Quatsch!« versetzt der Zweiundzwanzigjähnge. »Hier«, sagt er und legt sein Mitgliedsbuch auf den Tisch. »Ich möchte nicht länger in eurer Partei bleiben«, erklärt er. Der wegen undefinierbarer Krankheit noch immer uk-gestellte Bannführer zuckt nervös mit seinem verdickten Augenlid. Er ist so erschrocken, daß er nicht antworten kann.
»Hier«, sagt Stefan, langt in die Tasche und wirft das Parteiabzeichen wie eine kleine Münze auf den Tisch. »Von mir aus kannst du dir das Ding zwischen die Arschbacken stecken.« Er sieht noch, daß Greifers Ohren zucken wie die Löffel eines Kaninchens, das geschlachtet wird.
Dann hat Stefan seinen großen Abgang.
Die Tür knallt ins Schloß wie ein Fallbeil.
An diesem Wintertag sind es noch siebzehn Monate und zwölf Tage bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.
3
An diesem 19. Mai 1947, dem Tag meiner Freilassung aus dem Santé-Gefängnis in Paris, spulten die Ereignisse so schnell ab, daß sie sich mir auf Magen und Psyche schlagen mußten. Die überraschende Freiheit. Die rasende Fahrt durch die große Stadt. Die
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