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Heldensabbat

Heldensabbat

Titel: Heldensabbat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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oder weniger offene Hitler-Feinde überlebt hatten, war letztlich nur durch die Hilfe oder zumindest die Diskretion von Nachbarn, Bekannten oder Kollegen möglich gewesen, von Menschen, die angesichts einer schematischen Entnazifizierung, einer verordneten Revolution auf dem Papier, heute nun vielleicht selbst der Fürsprache bedurften.
    »Wo wohnst du, Stefan?« fragte mich Tante Marie-Luise.
    »Bei Peter Stone.«
    »Du kannst jederzeit zu uns umziehen«, bot sie mir an. »Wir haben ein Zimmer für dich freigehalten.«
    »Vielen Dank, ich komm' bestimmt darauf zurück«, antwortete ich.
    »Stell dir vor, Mainbach hat Onkel Wolf ein Ehrengrab angeboten. In einer Feierstunde wollen der Oberbürgermeister, der Erzbischof und der Militärgouverneur die Gedenkreden halten – aber die Urne liegt in der Sowjetzone, und die Behörden machen Schwierigkeiten mit der Herausgabe. Captain Stone hilft mir zwar nach besten Kräften, aber ich fürchte, wir müssen die Asche des Geehrten regelrecht herüberschmuggeln.«
    »Wir werden es schon schaffen«, sagte ich und verabschiedete mich. »Grüß Adele von mir.«
    Ich ging die Dientzenhoferstraße entlang. Die meisten Häuser waren von der Militärregierung beschlagnahmt, auch das Nachbargebäude, das Tarzans Mutter gehörte. Dann ging ich in Richtung Innenstadt, passierte den Grünen Markt, stand vor der barocken Martinskirche, hinter der die Zerstörungen begannen. Dann erreichte ich die Untere Brücke.
    Hier stand, unübersehbar über Schuttbergen und Ruinenfassaden, St. Kunigunda mit Goldkrone und hocherhobenem Zepter, und sie lächelte genauso über die Torheiten der Besatzer und der Besetzten wie einst über den Aufstand der braunen Spießbürger.
    Ich grüßte zur Stadtheiligen hinauf, das war ich meiner Mutter schuldig. Einen Moment lang hatte ich die abstruse Vorstellung, Kunigunda nicke mir zu. Es war eine Sinnestäuschung, aber ich bin sicher, wir würden uns künftig bestens verstehen.
    Ich stieß auf Nachbarn, Bekannte und entfernte Verwandte, beantwortete banale Fragen mit Gemeinplätzen. Über das prächtige Alte Rathaus näherte ich mich dem Obstmarkt und stand vor einer Trümmerstätte. Unfassbar, daß ich in diesem Haus aufgewachsen war, unbegreiflich, daß es in Sekunden vernichtet worden war. Nebenan wurde schon wieder aufgebaut, improvisiert, geflickt. Die Menschen wollten aus den Kellern wieder nach oben – das Leben ging weiter.
    Es war sicher besser, sich der Zukunft zu stellen als über die Vergangenheit nachzugrübeln. In der vormaligen Adolf-Hitler-Straße, die jetzt wieder Lange Straße hieß, holte sie mich wieder einmal ein. Einer, den ich am wenigsten zu sehen wünschte, sprach mich an: Oberstudienrat Pfeiffer, der Alt-Pg und Gegenspieler von Hans Faber am Gymnasium.
    »Prima, daß du wieder zu Hause bist, Stefan«, sagte er. »Wir kommen schon wieder hoch. Stell dir vor, diese Schweine haben mich sieben Monate in ein KZ gesperrt.«
    »Und wie sind Sie aus dem Internierungslager wieder herausgekommen?«
    »Kein Platz mehr«, erwiderte er und betrachtete mich abtastend. »Sag mal, Stefan«, fuhr er dann fort,»durch die Sache mit deinem Onkel stehst du ja jetzt unter politischem Denkmalschutz.« Er lachte, als wäre das Schicksal Dr. Wolf Hartwigs ein Witz. »Könntest du mir so einen Wisch für die Spruchkammer ausstellen?«
    »Einen Persilschein?«
    »Natürlich. Du schreibst einfach, daß ich immer ein aufrechter, nationaldenkender Mann war, der sich allen Auswüchsen des braunen Systems entgegengestellt hat.«
    »Haben Sie das denn, Herr Pfeiffer?« fragte ich.
    »Quatsch«, versetzte er. »Wenn alle so hinter ihrem Führer gestanden hätten wie du und ich, dann gäb's diesen Saustall hier jetzt nicht, dann wären wir die Sieger.«
    »So sind wir nun allerdings die Verlierer«, entgegnete ich. »Vor allem Sie, Herr Pfeiffer. Von der Schule geflogen?«
    Er nickte verdrossen.
    »Erzieher wie Sie haben an Schulen auch nichts zu suchen«, erwiderte ich. »Sie waren der Auswuchs eines beschissenen Systems.«
    Sein Gesicht verzerrte sich; er zitterte vor Haß. »Du hast dich wohl schon umgestellt, du Lump!« Er spuckte vor mir aus.
    Meine Hände schossen vor, faßten ihn am Kragen, ich drückte ihn gegen die Wand, schüttelte ihn wie einen Baum. »Wenn Sie nicht ein mieser alter Mann wären, würde ich Sie zusammendreschen«, sagte ich und schleuderte ihn gegen die Wand. Er ging stöhnend zu Boden. »Sagen Sie nie mehr Lump zu mir und spucken Sie nie

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