Heldensabbat
zurück.«
Sibylle nickte zerstreut.
»Er hat mir mit unheimlichem Gespür und Einsatz in Paris aus dem Gefängnis geholfen.«
»Hat er dir nicht auch damals, in Russland, im Lazarett –«
»Schon bei unserer ersten Begegnung hat mir Bongo das Leben gerettet«, unterbrach ich sie. »Später konnte ich es wieder wettmachen, aber darüber wollen wir nicht reden«, sagte ich und setzte inkonsequent hinzu: »Jeder Überlebende hat ein paar andere gerettet und vielleicht auch auf dem Gewissen –«
Sibylle hatte mir gestern den Abend nicht verderben wollen, aber jetzt berichtete sie mir, daß in den letzten Monaten des Krieges noch einmal vier ehemalige Mitschüler aus der 8 c ums Leben gekommen waren. Die langhaarige Erika, die immer rot geworden war, wenn Dr. Faber sie angesehen hatte, war als dienstverpflichtete Stabshelferin auf einem E-Hafen von einer Bombe erschlagen worden. Sterzbach, der damals geweint hatte, als Oberstudiendirektor Dr. Schütz das Kruzifix aus dem Klassenzimmer entfernen ließ, hatte es ebenso in Rußland erwischt wie Benno Metzger, meinen Jungzugführer, ihn als Untersturmführer der Waffen-SS. Ferdinand Grubbe war am Niederrhein im Kampf gegen die Anglo-Amerikaner gefallen, und es spielte keine Rolle mehr, daß er in seinem Reifezeugnis als sehr durchschnittlich beurteilt worden war.
Am nächsten Tag kam Captain Stone und holte uns ab. Er betrachtete mich eingehend und nickte zufrieden. »Du hast dich bereits prächtig erholt«, stellte er fest. »Der Gefängnisanstrich ist weg.«
Wir nahmen in seinem Buick Platz, Peter ging noch einmal zurück und plauderte noch ein paar Minuten mit Sibylle, offensichtlich seiner besonderen Vertrauten. »Sorry«, entschuldigte er sich, dann fuhren wir los.
Er lenkte den Wagen gemächlich wie einer, der viel Zeit hat, war zunächst ziemlich wortkarg, dann begann er: »Paßt mal auf, Sportsfreunde. Ihr wohnt provisorisch im Gästehaus meiner Dienststelle. Ihr seid pro forma vorübergehend in meinen Diensten, bis alles geregelt ist: Unterkunft, Zuzug, Quartier und so weiter. – Wie ich höre, willst du Jura studieren, Stefan«, wandte sich der Captain an mich. »Sicher eine gute Idee, aber das heißt, daß du schleunigst entnazifiziert werden mußt … Das gilt auch für dich, Kalle«, sagte er zu Bongo. »Wenn du willst, setze ich dich dann bei der ›Bertrag‹ als eine Art stellvertretender Treuhänder ein – übrigens hatte Stefan diese Prachtidee.«
»Sibylle ist ja eine ergiebige Informationsquelle«, erwiderte ich.
»Deine Anregungen sind uns Befehl«, spöttelte Peter.
Wir hatten Mainbach erreicht, passierten das Hohe Kreuz, rollten den Kaulberg hinunter, hinüber auf den Domberg, erreichten das alte Benediktinerkloster Sankt Michael mit der mächtigen Freitreppe, fuhren zum Abtsberg weiter. Unsere Ankunft in Mainbach, die ich so gefürchtet hatte, verlief wie eine Sightseeing-Tour in einer noblen Stadt, die ihre Gäste verwöhnt. Aber ich war kein Gast, ich war zu Hause, und ich begann es zu spüren, zu empfinden. Mainbach hatte Schäden erlitten, war aber weitgehend unzerstört geblieben. Kunigunda, die Stadtheilige, hatte ihrem Patronat alle Ehre gemacht.
Der Abtsberg lag im Sperrgebiet, seine hübschen Villen waren von der Besatzungsmacht requiriert worden. Und das war in diesem Fall der Research Service des US Captain Peter Stone. Er sammelte Nachrichten aus Wirtschaft und Politik, erstellte Analysen und tätigte Meinungsumfragen. Es wirkte ein wenig geheimnisvoll, aber es war keine Geheimdienstarbeit, eigentlich eine Art zweites Standbein, das sich das Military Government zugelegt hatte, eine Art Gegenkontrolle.
Zuerst erhielten Bongo und ich einen Ausweis, der uns das Betreten des Sperrgeländes erlaubte, dann jeder einen Fragebogen, zu beantworten in dreifacher Ausfertigung. Es war ein Produkt von Neugier und Willkür, Ausgeburt einer größenwahnsinnigen Bürokratie, die den Befragten einer Kanonade notwendiger, indiskreter, doch auch oft indiskutabler Fragen aussetzte: Körpergröße, Gewicht, Farbe der Augen, der Haare, Narben oder andere besondere Kennzeichen, wie sie eigentlich zu einem polizeilichen Steckbrief gehörten; aber das waren wir ja gewohnt. Bereits bei der Frage Nummer 18 griffen sich Bongo und ich an den Kopf: »Aufzählung aller Ihrerseits oder seitens Ihrer Ehefrau oder Ihrer beiden Großeltern innegehabten Adelstitel.« Insgesamt waren hunderteinunddreißig Fragen zu beantworten, darunter auch, welche
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