Heldensabbat
mehr vor mir aus«, setzte ich hinzu. »Das nächste Mal vergesse ich mich.«
Es bildete sich ein Menschenauflauf wie nach einem Verkehrsunfall. Ein Hilfspolizist mit weißer Armbinde, bewaffnet mit einem Holzknüppel, baute sich drohend vor mir auf. »Sie haben eine Körperverletzung begangen«, sagte er.
»Mit Vergnügen«, erwiderte ich.
»Zeigen Sie mir Ihren Ausweis!« Er wurde etwas freundlicher, als ich ihm Captain Stones Research-Service-Bestätigung zeigte.
»Sie können nur hoffen, daß der Mann keine Anzeige gegen Sie erstattet«, sagte der Hilfspolizist.
»Ganz im Gegenteil«, erwiderte ich und ging lachend weiter.
Für den ersten Tag hatte ich genügend Eindrücke gesammelt. Die Zeit hatte noch immer den Teufel im Leib. Es war die Epoche der deutschen Nachkriegsgeschichte, in der gelogen und gestanden, gehungert und geschlemmt, gebetet und gehängt, geschoben und gehurt, geschwiegen und verraten wurde.
Natürlich fanden sich Kalle und ich in den nächsten Tagen in Mainbach zurecht. Wir hatten beide nicht die Absicht, als Dauergäste des Captain Stone auf dem Abtsberg zu schmarotzen. Ich erfuhr, daß Hans Fabers alter Oberfeldwebel Schulz den Krieg überlebt und eine Bauerntochter aus Mainbachs Umland geheiratet hatte. Ich suchte ihn auf. Wir sprachen von alten, schlimmen Zeiten, und ich hatte insofern Glück, als Schulz, der Neulandwirt, inoffiziell eine Regimentskartei führte. Ich konnte mich genau an die Männer erinnern, die mit mir Fahrzeuge in der Etappe abgeholt hatten und dabei in eine der Vernichtungsaktionen des Sturmbannführers Panofsky geraten waren. Zumindest Unteroffizier Boldt lebte noch und wohnte in der Nähe von München.
Am Abend konnte ich Captain Stone berichten, daß er mit einem weiteren Zeugen rechnen könne. Er war offensichtlich nicht ganz bei der Sache. »Die Russen haben einen Auslieferungsantrag gestellt«, erklärte er dann. »Panofsky wurde verlegt und ist zur Zeit unauffindbar.«
»Faule Sache«, erwiderte Bongo. »Das kenn' ich von Frankreich her.«
»Was soll das heißen?« fragte der Jugendfreund scharf.
»Eines Tages meldet die zuständige Dienststelle, daß der Mann aus der Haft entkommen ist, tatsächlich aber hält ihn eine geheime US-Dienststelle als Rußlandexperten unter Verschluß und bewahrt ihn vor Auslieferung und Henker.«
»Das glaubst du doch selbst nicht«, entgegnete Tarzan verärgert.
»Ich hab's erlebt«, behauptete Kalle. »In Lyon, mit einigen ganz üblen Typen, beide Rußlandexperten in US-Diensten. Wie hätte ich denn sonst den Fall Prenelle klären können? Die Politik hat sich gedreht«, fuhr Bongo fort. »Amerika steht jetzt im Kalten Krieg mit seinen ehemaligen Bundesgenossen hinter dem Eisernen Vorhang. Die USA wissen überhaupt nichts über die Russen. Da braucht man nützliche Idioten. Und Geheimdienst ist Dreckarbeit und kennt nur eine Moral: den Erfolg.«
»Auch wenn es sich um Kriegsverbrecher handelt?« entgegnete Peter Stone verärgert. »Ich kann das einfach nicht glauben.« Er stemmte sich dagegen, aber aus seiner Stimme war ein erster Zweifel herauszuhören.
»Das sollst du auch gar nicht«, konterte Bongo. »Du sollst nur die Augen offen halten.«
Der Captain las unsere Fragebogen aufmerksam durch und nahm sie mit, um sie der zuständigen Stelle vorzulegen. Ich wußte, daß er einen ausgezeichneten Ruf hatte, als korrekt und doch hilfsbereit galt, wenn auch Anbiederungsversuche von ihm abprallten. Tarzan mußte sich hinter MP-Posten im Sperrgelände verschanzen, denn als deutschsprechender US-Offizier wäre er sonst von Bittstellern überlaufen worden.
Er befand sich in einer heiklen, zwiespältigen Situation: Er gehörte zu den Machthabern der Militärregierung, aber sein Vater war auf dem gleichen Friedhof beerdigt wie meine Eltern. Peter Steinbeil, als Deutscher geboren und in diesem Land aufgewachsen, hatte als Siebzehnjähriger durch eine Absprache seiner Mutter mit meinem Onkel in die Schweiz emigrieren können. Am Vierwaldstätter See noch nicht richtig eingewöhnt, war seine Mutter dann mit ihm nach Übersee ausgewandert. Nun war Tarzan das alles zusammen: Deutscher, Halbschweizer und Amerikaner. Wahrscheinlich kam der Captain nicht dazu, lange darüber nachzudenken; er fuhr ständig zwischen München und Mainbach hin und her und mußte zusätzlich noch überall hinreisen, wo es im US-Besatzungsgebiet zu Pannen gekommen war.
Schwierigkeiten gab es ständig, denn viele örtliche Gouverneure benahmen sich
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