Heldensabbat
Claus schiebt dem Freund das Glas zu, aber der Pädagoge fegt es mit einer unwirschen Geste vom Tisch.
Beim Abgang hört er noch, wie Claus zu Robert sagt: »Für den können wir nur noch eine Opferkerze bei der heiligen Kunigunda anzünden.«
Dr. Faber schlägt die Tür hinter sich zu, hastet in Sätzen die Treppe hinunter, aber seine Schritte hören sich eher wie eine Flucht an denn wie eine Attacke.
Über seinem Schreibtisch hängt das Bild des Generalfeldmarschalls, der die Russen besiegt und vor den Nazis kapituliert hat. Paul von Hindenburg mustert mit greisem Grimm den Oberstudiendirektor, der seinen Anstand an die Bewegung, seinen Charakter an die Karriere und seine Vernunft an die Zeit verkauft hat.
»Herr Kollege«, beginnt Dr. Schütz. Es klingt wie eine Kampfansage. Seine Augenlider zucken. Die Vorhänge sind halb zugezogen. Der Arbeitsraum des Anstaltsleiters liegt im Halbdunkel. »Unsere Schule steht auf dem Boden des Nationalsozialismus. Wer gegen diesen Geist verstößt, hat zu gehen!« Dr. Schütz wandert im Zimmer auf und ab. Er spricht schneidend. »Ich stehe Ihrem Unterricht schon die ganze Zeit mit Skepsis gegenüber. Ich war großzügig und ließ Ihnen freie Hand. Sie haben mein Vertrauen schamlos missbraucht, Dr. Faber. Wenn es schon soweit ist, daß von außen Beschwerden an mich herangetragen werden –« Er redet sich in Zorn hinein, fuchtelt mit den Armen, keucht. Blaue, bizarr geformte Adern treten an seinen Schläfen hervor. »Sie haben an unserer Schule nichts mehr zu suchen!« brüllt er.
Aber Dr. Faber geht nicht in die Kniekehlen; zwei Köpfe größer als Dr. Schütz steht er dem Anstaltsleiter gegenüber. Sein Benehmen zeigt mehr Lässigkeit als Respekt. So schäbig bist du also, denkt er und betrachtet den Mann gelassen, der in seiner politischen Vergangenheit bald schwärzlich und bald rosarot war; Diener dreier Herren, wenn man es von ihm verlangte. Als er die vorläufig letzte Wendung genommen hatte, wurde er Pg, Baujahr 1933. Und aus dem Märzveilchen war mittlerweile ein Schlingergewächs geworden.
»Da stehen Sie hier wie das schlechte Gewissen selbst«, zetert Dr. Schütz weiter, »rechnen Sie nicht mit meinem Verständnis. Bei mir nicht. Nicht!« wiederholt er und schlägt mit den Knöcheln auf die Tischplatte.
»Ich gebe meinen Unterricht auf der Grundlage des Humanismus«, versetzt der Gerügte ruhig. »Wir sind ja auch ein humanistisches Gymnasium.«
»Und ein deutsches«, erwidert Dr. Schütz. »Und ein nationalsozialistisches. Und wir unterrichten die deutsche, nationalsozialistische Staatsjugend. Verstanden?«
Dr. Faber verfolgt schweigend, wie sich der Rex auf den Polsterstuhl an seinem Schreibtisch fallen läßt; ein Stehzwerg wird zum Sitzriesen, offensichtlich besorgte der Tapezierer, was die Natur versäumt hat.
»Der Tatbestand ist klar«, fährt Schütz fort. Seine Finger schnappen regelmäßig auf und zu. »Ausgerechnet Bertram, der Mäzen unserer Schule. Das verzeihe ich Ihnen nie, Faber!«
»Ich habe die beanstandeten Äußerungen bisher nicht gehört, Herr Oberstudiendirektor«, wendet Faber ein.
»Nicht gehört«, äfft ihn Dr. Schütz nach. »Sie sind mir zu ekelhaft, als daß ich sie wiedergeben könnte.«
»Dann ist diese Unterredung wohl zwecklos.« Faber deutet eine Verbeugung an, er will gehen.
»Bleiben Sie!« bellt Dr. Schütz. Er betrachtet seine Fingernägel, sucht einen Übergang, einen anderen Ton. »Für mich sind Sie erledigt«, sagt er dann ruhiger. »Aber ich will das nicht auf meiner Schule sitzen lassen. Ich verlange von Ihnen, daß Sie zu Herrn Bertram gehen und die Sache klarstellen. Ich fordere, daß Sie den Vorfall als eine Entgleisung oder ein Missverständnis darstellen. Das sind Sie meiner Anstalt schuldig, verstanden?«
»Nein«, erwidert der Assessor knapp.
»Dann reden wir Fraktur.« Die Stimme des Oberstudiendirektors zischt. »Ich habe bisher eine Anzeige«, er hebt den Kopf, »höherenorts unterlassen. Ich gebe Ihnen Zeit bis morgen Abend. Bereinigen Sie diesen Zwischenfall mit Herrn Bertram.« Widerwillig setzt er hinzu: »Vielleicht – dann möglicherweise ein Aufschub an der Schule, vielleicht …« und endet drohend: »Oder …«
»Oder?« wiederholt Dr. Faber leise.
Der Anstaltsleiter erhebt sich. Seine Augen werden klein, tückisch. Die Lider zucken. Mit einer plötzlichen Handbewegung bezeichnet er das Ende der Unterredung. »Heil Hitler, Herr Dr. Faber«, verabschiedet er den Jüngeren.
Benommen
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