Heldensabbat
betritt der Assessor die Straße, trotzdem erleichtert. Nicht so sehr wegen der Chance, die ihm Dr. Schütz in Aussicht stellte. Der Mann hat ja Angst, denkt er. Natürlich, das ist es: Nicht Angst vor mir, sondern davor, unangenehm aufzufallen.
Denn Tag und Nacht fürchtet er, daß Pfeiffer oder ein anderer »echter« Schulnazi an seine Stelle gesetzt werden könnte, daß das Regime mit Dr. Faber auch gleich Dr. Schütz abservieren würde.
Mit beschwingten Schritten geht der Assessor in seine Wohnung zurück. Die Freunde haben auf ihn gewartet.
»Schlimm?« fragt Robert vorsichtig.
»Wie man's nimmt«, erwidert der Erzieher. »Ich sitze mit einem Schwächling und Opportunisten, der den Schweinehund spielt, in einem Boot.«
»Na, daraus läßt sich doch wohl was machen, Käpt'n«, wirft Claus ein und schiebt dem Freund diesmal das Schnapsglas nicht vergeblich zu.
Das Sudetenland ist besetzt und dem Großdeutschen Reich eingegliedert. Die Erregung flaut allmählich ab. Der Alltag beginnt wieder, in Mainbach wie auch anderswo, ein Alltag im Frieden, über dem bereits derschwere Schatten des Krieges lastet. Vorübergehend politisiert die 8 c nicht mehr; sie bereitet sich unter Leitung Stefan Hartwigs auf das Fußballschlußspiel gegen die 8 a vor. Es geht um die Meisterschaft des Gymnasiums – eine Sportveranstaltung und doch auch ein Politikum.
Um 15 Uhr pfeift der Turnlehrer das Spiel an. Zuschauer sind nicht nur geschlossen die annähernd siebenhundert Gymnasiasten und der Lehrkörper, sondern viele Eltern und Kiebitze von anderen höheren Lehranstalten. Vom Anstoß an bemerken sie, daß beide Teams voll auf Sieg setzen, vielleicht zu angestrengt und verbissen, denn es kommt laufend auf beiden Seiten zu Fehlpässen und versiebten Chancen. Stefans Team spielt mit großem Einsatz, kämpferisch, aber als technisch reifere Mannschaft zeigt sich ohne Frage die 8 a, und das ist kein Zufall.
Die Oberstufe des Gymnasiums verfügt über drei Parallelklassen; die 8 b war bereits in der Vorrunde ausgeschieden. Man hatte von vornherein erwartet, daß sich beim Finale die 8 c und die 8 a gegenüberstehen würden. Stefans Mannschaft setzt sich – wie seine Klasse – aus Stadtschülern zusammen, die gegnerische Elf fast ausschließlich aus Ottonianern, wie sich die Zöglinge des Priesterseminars nennen. Es handelt sich dabei vorwiegend um kräftige und fleißige Bauernsöhne aus Mainbachs fruchtbarem Umland. Wenn der Lehrer oder vor allem der Pfarrer ihre Begabung entdeckt hatten, überredeten sie die Eltern, ihre Sprösslinge in die Mittelschule der alten Kunststadt zu schicken, wo sie, von Präfekten betreut, in Latein und Griechisch, aber auch in Fragen des Glaubens unterrichtet wurden. Manche scheiterten, die meisten wurden Priester, aber Ottonianer waren auch als Ärzte und Juristen in viele Spitzenstellungen aufgerückt.
Die Zöglinge aus Mainbachs herrlicher Umgebung büffeln nicht nur gemeinsam, sie treiben auch Sport, und das heißt vorwiegend Fußball. Sie stellen ein eingespieltes, hervorragend gedrilltes Kickerteam und sind dadurch zwangsläufig besser auf das Finale vorbereitet als ihre Stadtrivalen, die sich mancherlei Ablenkungen – Kino, Mädchen, Bummel – leisten, von den HJ-Geländespielen und Übungsmärschen ganz abgesehen. Noch immer gehört kein Zögling der kirchlich geleiteten Anstalten der Staatsjugend an; deshalb hatte gestern Bannführer Greifer zum Fähnleinführer Hartwig, der heute als Spielführer der 8 c auftritt, bemerkt: »Das ist doch wohl klar, Stefan, daß Hitlerjungen diese Pfaffenschwänze schlagen.« Auch Pfeiffer ließ wissen, daß er einen Kantersieg erwarte. Singlehrer Stocker hatte schon im voraus gratuliert, und der »Hydro«, der mit dem Match überhaupt nichts zu tun hatte, weil keiner seiner Schüler beteiligt war, erwartete lautstark, daß Hartwigs Mannen die Ottonianer vom Platz fegten.
Davon kann nach fünfunddreißig Spielminuten keine Rede sein. Die 8 a führt durch zwei Prachttore des sommersprossigen Heinrichsbauer. Kurz vor der Halbzeit kann Rolf Bertram durch einen umstrittenen Strafstoß auf zwei zu eins verkürzen, und dabei bleibt es nach den ersten fünfundvierzig Minuten. Stefan spürt, daß er heute unter seiner Form spielt. Erwartungen und Vorschußlorbeeren machen ihn nervös. Tarzan ist zuverlässig und gefährlich wie immer, aber er hat Schußpech; zwei Lattenschüsse, die sichere Goals gewesen wären.
»Mensch, Mensch«, sagt Rolf Bertram in
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