Heldensabbat
Vater Benz, der nie einen solchen getragen hatte, litt auch schon unter einer vorzeitigen Glatze. »Ich fürchte, du wirst zu Kreuze kriechen müssen, ob du willst oder nicht«, stellt der Jurist fest.
»Auch zu Hakenkreuz?« fragt Faber gereizt.
»Schrei mich doch nicht gleich so an«, versetzt der Schüttere. »Ich hab' doch diese Bande nicht erfunden. Vergiß nicht, Hans, deine Staatsjugendschüler sind Hitlerjungen.«
»Und bald Kanonenfutter«, erklärt Robert. »Wir haben's da leichter.«
»Soll ich vielleicht jetzt noch meinen Beruf wechseln?«
»Hör mal zu, Hans«, sagt Claus und geht ans Fenster, schließt es sicherheitshalber. »Du kannst diese Marschierer nur mit ihren eigenen Waffen schlagen: mit ihrer Heuchelei, mit ihren Phrasen. Sag ihnen ein paar unverbindliche Worte und denk dabei an den Kernsatz, den unser Dichterfürst in seinem ›Götz von Berlichingen‹ einem Mainbacher Marktweib gestohlen hat.«
»Und tritt um Gottes willen kürzer im Unterricht«, rät der Anästhesist. »Diese Jungen sind gefährlich, ohne es zu wollen oder zu wissen.«
»Also faule Kompromisse soll ich machen.«
»Was sonst«, entgegnet Claus. »Oder willst du aufrecht fallen?«
»Besser als katzbuckeln –«
»Quatsch«, erwidert der Versicherungssyndikus. Er greift in die Tasche, holt ein Parteiabzeichen hervor. »Kennst du das?« fährt er den betroffenen Faber an. »Halt jetzt von mir, was du willst. Ich bin vor vier Wochen eingetreten. Ich war der einzige bei meiner geschätzten Firma, der keiner Parteigliederung angehört hatte. Unser neuer Chef stellte mich vor die Wahl, NSDAP-Mitglied zu werden oder zu gehen. Und das ein paar Monate, bevor ich ordentliches Vorstandsmitglied wurde. Aber das war nicht der Ausschlag, das nimmst du mir wohl ab«, setzt Claus eindringlich hinzu und sucht wenigstens bei Robert Verständnis für seine Haltung, »obwohl ich eine Frau und zwei Kinder habe und für meine alte Mutter sorgen muß. Bei jeder neuen Bewerbung wäre meine politische Abstinenz aufgefallen. Was sollte ich tun? Hältst du mich jetzt für einen Nazi, Hans? Vielleicht verachtest du mich nunmehr. Glaub mir, ich hatte keine andere Wahl, als nachzugeben – oder meine Existenz zu zerstören. Schön, ich zahl' jetzt ein paar Mark Beitrag monatlich, halte rechtzeitig die Klappe – wenigstens da, wo man sie halten sollte –, und wenn's ganz schlimm kommt, dann stecke ich mir eben diesen lächerlichen Bonbon ins Knopfloch und denk' an das Mainbacher Marktweib.«
»Dich kenn' ich«, erwidert Faber. »Dir nehm' ich das ab, und bei dir finde ich es auch nicht sehr bedenklich, aber«, setzt er hinzu, »wenn dieser faule Zauber erst einmal vorbei ist, werden alle das Gleiche behaupten, auch die Fanatiker, die Ariseure, die Denunzianten, die Schläger, die Mörder.«
»Deine Sorgen möcht' ich haben«, gibt Robert zurück. »Laß den faulen Zauber erst mal vorbei sein, dann werden wir die Schafe von den Böcken trennen.«
»Hoffentlich behältst du recht«, erwidert Studien- und Lebensfreund Faber.
»Ich muß dir leider noch einen Tiefschlag verpassen«, fährt der Versicherungsjurist fort. »Nicht alle, die der Hakenkreuzfahne folgen, kannst du in einen Topf werfen. Nicht alle sind grüne Jungen, Opportunisten, Ariseure, Denunzianten und Rabauken. Es gibt sicher auch NS-Anhänger – und nur die meine ich jetzt –, die fraglos phantasielos und unpolitisch sind. Aber etwas kannst selbst du ihnen nicht absprechen: Sie sind anständige Idealisten, die einfach an diesen schrecklichen Führer glauben.«
»– bis sie eines Tages daran glauben müssen«, wirft Robert ein.
»Du triffst den Nagel auf den Kopf«, versetzt der Besucher aus Nürnberg. »Wie sieht's eigentlich bei dir aus? Hast du in deinem Krankenhaus keine Schwierigkeiten?«
»Bis jetzt nicht«, antwortet der Arzt mit der hohen Stirn und der schmalen Nase. »Mein Chef, der Professor, verlangt von mir nur eine perfekte Narkoseüberwachung und keinen politischen Schmonzes.«
»Und wenn dein Chef abgelöst und durch einen Alten Kämpfer ersetzt wird?« fragt Claus.
»Um Gottes willen«, erwidert der Freund. »Mal den Teufel bloß nicht an die Wand.«
In diesem Moment klingelt das Telefon: Oberstudiendirektor Dr. Schütz verlangt, daß sein Assessor unverzüglich zu ihm in die Wohnung kommt.
»Ich bin in einer Viertelstunde da«, erwidert Faber und legt auf.
»Mönchlein, du gehst einen schweren Gang«, albert Robert.
»Trink erst noch einen.«
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