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Heldensabbat

Heldensabbat

Titel: Heldensabbat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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gegeben.
    »Herr Oberstudiendirektor«, sagt Hans Faber, »ich würde Ihnen vorschlagen, Rolf Bertram, meinen künftigen Schwager, in eine Parallelklasse zu versetzen.«
    »Aber nein, das machen wir nicht mehr. Das wäre doch ganz falsch, jetzt vor dem Abitur den Klassenleiter zu wechseln. Und ich weiß doch, Herr Kollege, wie korrekt Sie sind und wie sehr ich mich auf Sie verlassen kann. Nein«, wiederholt er, »das machen wir in dieser kurzen Zeitspanne nicht mehr. Und bei der Reifeprüfung wird der Schüler ja ohnedies von anderen Lehrkräften examiniert.«
    Der Höhepunkt des Tages ist kurz und förmlich. Im dunklen Anzug fährt der Hausherr vor, begrüßt die Gäste, stößt, ohne seinem Schwiegersohn in die Augen zu sehen, mit einem Glas Sekt auf die Verbindung an, wünscht alles Gute und umarmt denn seine Tochter steif; es sieht fast so aus, als schöbe der dabei Sibylle von sich weg. Der Industrielle wirkt gealtert. Sein Gesicht scheint von einer Krankheit gezeichnet. Seine grauen Augen sind ohne Glanz, seine buschigen Augenbrauen gesträubt. Er sieht weder wie ein glücklicher Vater noch wie ein erfolgreicher Unternehmer noch wie der Liebhaber einer kessen Dreiunddreißigjährigen aus.
    Eine halbe Stunde später nickt er seiner Frau zu und verläßt die Wohnhalle, ohne sich von den Gästen zu verabschieden, wie ein Einsteigedieb. Er verschwindet in seinem Wagen, fährt in Richtung München. Was Gustav Bertram vorführte, glich eher einer Unterwerfungsgeste als einer Gratulation. Er hat sich mit dringenden Geschäften entschuldigt, und in Mainbach verbreitet sich rasch eine doppelte Sensation: daß der Unternehmer Dr. Hans Faber als Schwiegersohn akzeptiert, zum anderen, daß er sich bei der Verlobungsfeier kaum eine halbe Stunde im eigenen Haus aufgehalten hat.
    Das Barometer scheint auf Sturm zu stehen, aber Sibylle und Hans im Glück sind wetterfest.
    Böllerschüsse dröhnen von der Altenburg; sie starten den Tag, den die Partei fürchtet. Der Kreisleiter hat sich auf Fronleichnam vorbereitet wie auf eine Saalschlacht. Er treibt seine Gliederungen aus der Stadt. Es ist ein Rückzug. Die HJ muß ins Zeltlager, die SA auf den Schießstand, die Parteigenossen fahren zu einer Tagung, die SS lauert in Zivil, die Technische Nothilfe reißt eine Straße auf, um das tausendfache Gebet zu sabotieren.
    Aber die braunen Organisationen sind nicht vollzählig. Es gibt Mitglieder, die Gott mehr fürchten als den Kreisleiter. Denn dieser Tag gehört der Kirche. Die Prozession wird zur Demonstration. Der freiwillige Zug des Glaubens bewegt kaum weniger Menschen als die befohlene Bewegung des Unglaubens.
    Die Glocken läuten von den sieben Hügeln des fränkischen Rom. Von den Domtürmen hallen ihre Klänge wuchtig wie die Geschichte, vom Michaelsberg hell wie die Hoffnung, von der Oberen Pfarre mächtig wie der Glaube, vom Jakobsberg gelassen wie die Zuversicht. Über dem Tal verschmilzt das Glockengeläute zu einem Ton. Es dringt noch in die äußersten Winkel, in die entferntesten Häuser, in die letzten Herzen.
    Die Sonne steht hell und warm am Himmel wie ein Wegweiser.
    Auf den Straßen sind Blumen gestreut. Aus den Fenstern wehen Fahnen ohne Hakenkreuz, in den Farben des Vatikans: weiß-gelb. Aber an diesem Tag geht es nicht um eine Konfession. Es geht um die Religion schlechthin. Die Bekenntnisse kennen keine Gegensätze mehr. Die evangelische Minderheit der Stadt unterstützt die katholische Prozession in brüderlicher Herzlichkeit. Protestanten säumen ergriffen die Straßen. Die Glocken der evangelischen Kirche stimmen in den Einklang der Feierlichkeit.
    Der Glaube erfüllt die Luft. Sie duftet nach Blumen und Kerzen, nach Erde und Frühsommer. Zuerst kommen die Mädchen. Sie tragen weiße, rührende Kleider. In ihren Haaren spiegelt sich die Sonne, in ihren Augen die Andacht. Sie beten hell und rhythmisch. Sie haben kleine, ovale Körbe umgebunden, aus denen sie Blütenblätter streuen. Knapp hinter ihnen folgen die Buben in dunklen Anzügen, mit sorgfältig gescheitelten Haaren, die ihnen die Mütter naß an den Kopf gestriegelt haben. Ihre Gesichter sind wichtig, ihre Augen noch unberührt von den Niederungen dieser Welt. Ihr ›Te Deum‹ klingt klar und einstimmig, geht in ein Vaterunser über und endet in einem Marienlied.
    Und dann wachsen die Jungen der langsam schreitenden Prozession nach oben wie die Orgelpfeifen. Ihre Stimmen werden tiefer, ihre Köpfe höher.
    Dr. Faber, der in der vorderen Reihe des

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