Heldensabbat
heimliche Mobilmachung männliche Arbeitskräfte rar; durch Staatsverordnung schafft man deshalb Hotelpagen, Türsteher, Bauchladenverkäufer und Eintänzer ab. Marika Rökk tanzt, steppt und singt in dem UFA-Streifen ›Hallo Janine‹ – ›Auf dem Dach der Welt, da steht ein Storchennest –‹ Tingeltangel soll ablenken. Aber wer sein Gehirn nicht an die braune Propaganda abgetreten hat, weiß, daß nach der Einbringung der Ernte die von zehn auf hundertzwei Divisionen aufgerüstete Wehrmacht von Hitler den Befehl zum Losschlagen erhalten und der Sensenmann die Nachlese übernehmen wird.
Für die achtundzwanzig Jungen und vier Mädchen der 8 c gab es keine Ablenkung mehr; sie waren auf die Reifeprüfung konzentriert. Nur die Musterung der Wehrmacht unterbrach ihre Anspannung. Die Gymnasiasten standen Nackt in einer Reihe vor der Kommission. Tauglich waren sie alle, und die meisten von ihnen wollten Offizier werden. Stefan meldet sich zu den Panzern, Rolf Bertram zu den Fliegern, der sensible Parvus, der eigentlich Musik studieren will, äußert keinen Wunsch und wird ebenso zur Infanterie gesteckt wie Sterzbach. Der bullige Metzger meldet sich zur Waffen-SS, die unsicheren Kandidaten Rainer Ramm und Ferdinand Grubbe sind für die Pionierwaffe vorgesehen, die bekanntlich Sperren beseitigt, aber einstweilen liegt den beiden ein anderes Hindernis im Weg.
Auch die vier Mädchen begreifen, daß sie nur auf Umwegen Zugang zur Universität finden werden. Alle deutschen Mädchen unter fünfundzwanzig müssen ein Pflichtjahr beim Arbeitsdienst abdienen, in einer der zweitausend Baracken, die dafür bereitgestellt werden. Claudia wird nicht so rasch mit dem Medizinstudium beginnen können, auch die blonde Ingrid kommt nicht gleich an die Sporthochschule. Die langhaarige Erika und die dunkle Susanne wissen noch nicht, was sie werden wollen, und warten erst einmal ihren Notendurchschnitt ab.
Es ist soweit: In den ersten beiden Tagen schreiben die Primaner ihre Arbeiten in Klausur. Von Ordinarius Dr. Hans Faber trefflich vorbereitet, schneiden die meisten dabei so gut ab, daß ihnen das mündliche Examen erspart bleibt. Die Gestrauchelten erhalten noch eine Chance. Mit Hängen und Würgen kommen sie durch. Nur der zappelige Braubach weiß nicht mehr ein noch aus: Gleich viermal wird er vor seine Examinatoren gerufen, und viermal versagt er.
»Der Bursche hat einfach Prüfungsangst«, erklärt Studienprofessor Pfeiffer. »Er ist sonst nicht so schlecht. Ich kenne ihn, ich war ja mal sein Klassenleiter.«
»Dreimal eine Fünf«, erwidert Oberstudiendirektor Dr. Schütz skeptisch, »das ist einfach zu schlecht.«
»In Deutsch könnten wir ihm eine Vier geben«, behauptet der Fürsprecher. »Was man künftig von ihm verlangen wird, dürfte wichtiger sein als Latein, Griechisch und Deutsch zusammen.«
»Wenn Sie meinen«, entscheidet der Rex und sieht sich fragend um, obwohl er weiß, daß sich kein Einwand mehr erheben wird. »Dann lassen wir eben Gnade vor Recht ergehen.« Er weiß, daß er eine Fehlentscheidung trifft; aus schlechtem Gewissen setzt er hastig hinzu: »Wir wollen einem jungen Menschen ja nicht die Zukunft verbauen.«
Die 8 c besteht geschlossen das Examen, während in der 8 a ein Kandidat hängen bleibt und in der 8 b sogar zwei, die beide besser sind als Braubach, aber keinen Schutzpatron haben. Die 8 c geht wieder einmal als Sieger durch das Ziel, wenn auch in unreiner Gangart.
Das ist gleichgültig: Jetzt wird gefeiert.
Die Fete findet im Hain-Café statt. Ordinarius Dr. Hans Faber ist der einzige Lehrer, der von seinen glücklichen ExSchülern dazu gebeten wird; sie haben auch Sibylle, seine Verlobte, eingeladen.
»Geh nur allein hin, Hans«, winkt sie ab. »Ich will deine Schülerinnen nicht durch meine Gegenwart enttäuschen.«
»Was soll denn das heißen?«
»Sie schwärmen doch alle für dich«, erwidert die brünette Studentin schelmisch.
»Woher willst du das wissen?«
»Ich hab' doch einen Spion in der Klasse«, entgegnet sie lachend.
»Darum war ich doch dafür, daß man Rolf versetzt«, geht Faber auf Sibylles Ton ein.
Es ist sicher richtig, Lehrer und Schüler untereinander zu lassen, aber am nächsten Tag wird der Pädagoge gründlich bedauern, daß ihn Rolfs Schwester nicht zu der ausgelassenen Feier begleitete – sicher wäre er in ihrer Gegenwart zurückhaltender geblieben.
Der Germanist wird mit großem Hallo begrüßt und in die Mitte genommen. Seine Schüler sitzen in
Weitere Kostenlose Bücher