Heldenstellung
Wieder mit diesem Hundeblick.
»Sina wollte meinen Ring nicht haben«, flüstert er und putzt sich die Nase. Gegen meinen Willen fällt mir ein Stein vom Herzen. Er verdient es, dass ich völlig ehrlich zu ihm bin. Wir setzen uns beim Coffee Point an den Tresen.
»Error, ich muss dir auch noch etwas zu Sina und mir sagen.« Er sieht mich kurz überrascht an. »Ja, deshalb bin ich eigentlich auch hier.«
»Dann sag du zuerst«, bitte ich ihn. Error räuspert sich und weicht erneut meinem Blick aus.
»Ich werde ihr Partner bei der Yogalehrerprüfung. Und sie hat mich gebeten, dir etwas auszurichten«, sagt Error leise.
»Was?«, frage ich.
»Du sollst nicht mehr ins Yoga-Studio kommen.« Ich seufze und lasse den Kopf sinken. Aber was soll ich machen. Ich habe mich entschieden – oder besser gesagt: Mein Vater hat mich in der Hand.
»Möchtest du auch einen Kaffee?«, frage ich. »Der ist wirklich gut hier.«
»Ich möchte gar nichts mehr von dir«, sagt Error bitter, steht auf und geht einfach.
Der Barista sieht mich an.
»Espresso und Grappa?«, fragt er und stellt mir gleich die Kombination hin. Gut, der Mann. Jetzt, da ich kein Backoffice mehr habe, sollte ich ihn vielleicht anheuern. Ich hebe das kleine Glas und proste den vorübergehenden Kollegen zu, die ihr Bestes tun zu ignorieren, wie ich hier im Innenhof mit meinen privaten Problemen kämpfe.
Ich weiß nicht, wie lange ich vor mich hin starre. Irgendwann kommt Adam zu mir, setzt sich neben mich. Die Uhr trägt er nicht mehr am Handgelenk. Er erzählt, dass er mit meinem Vater gesprochen habe und der mich sofort bei sich im Büro sehen wolle. Ich stehe auf und verlasse die Agentur. Weil ich getrunken habe, nehme ich besser ein Taxi.
Die laufende Yogastunde bei Hari ist noch nicht ganz zu Ende, der Umkleideraum völlig verwaist. Durch die Glasscheiben in der Tür kann ich die Übenden erkennen. Sie liegen bereits auf dem Rücken in der Schlussentspannung. Offenbar üben sie Pranayama, einige haben kleine rote mit Reis gefüllte Stoffsäckchen auf die Augen gelegt und eine Decke über die Beine. Die ist wichtig, damit sie in der zehnminütigen Meditationsatmung nicht auskühlen. Direkt neben dem Podest sehe ich Sina, neben ihr steht Error. Unruhig laufe ich vor der Tür auf und ab. Das kann da drinnen noch ewig dauern. Also ziehe ich die Schuhe aus, öffne leise die Tür und schleiche mich herein, immer an der Wand entlang in Richtung Podest. In meinem grauen Berateranzug müsste ich hier normalerweise ziemlich auffallen, aber zum Glück haben alle Reissäckchen auf den Augen. Ein paar Kursteilnehmer schieben ihre Säckchen zur Seite, machen aber keinerlei Anstalten aufzustehen. Ich schleiche weiter an der Wand entlang, bis ich neben Sina stehe. Hari gibt mit einschläfernder Stimme Atemanweisungen und zeigt im Liegen mit den Händen, wie der Atem durch den Oberkörper fließen, wo er gehalten und wie er dann wieder ausgestoßen werden soll.
»Sina«, flüstere ich, aber sie reagiert nicht. Offenbar ist sie völlig in die Übung versunken. Kein Wunder, in vier Tagen hat sie Prüfung. Aber darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen.
»SINA«, flüstere ich noch mal, diesmal lauter. Keine Reaktion. Hinter mir höre ich Haris Räuspern, will mich aber gar nicht umdrehen. Ich weiß, dass Sina mich versteht.
»Es tut mir alles total leid«, flüstere ich eindringlich. »Dieser Tag, im Restaurant, das war ein sehr unglücklicher Tag.« Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich Hari auf dem Podest langsam aufsetzt. Auch zwei Frauen in der Nähe nehmen nun die kleinen Kissen von den Augen und schauen zu uns herüber. Sina hält inne. Um mich herum höre ich Räuspern, Rascheln und vereinzeltes Kichern. Aber darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen.
»Es hat bisher nicht so gut geklappt mit mir und den Frauen«, sage ich ehrlich. »Bei dir hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, daraus könnte mehr werden – nicht nur, weil du mir das Leben gerettet hast. Und jetzt habe ich alles versaut.«
Sina nimmt das Kissen von den Augen, setzt sich auf und starrt mich entsetzt an.
»Was redest du denn da?« Sie schnuppert. »Bist du betrunken?«
»Nein!«
Ich höre, wie Hari hinter mir vom Podest steigt, und sehe, dass auch Error aufgestanden ist. »Die Nacht mit dir war wunderschön«, sage ich und merke, dass ich nun im Begriff bin, ehrlicher zu sein, als gut ist, weil mir der Alkohol zu Kopf steigt. Aber ich kann die Wahrheit nicht mehr
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