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Heldenstellung

Heldenstellung

Titel: Heldenstellung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
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Augen sind feucht und leicht gerötet. Ich habe ihn noch nie weinen sehen. Oder ist es der Alkohol?
    »Ich kann nicht auf den Friedhof«, sagt er leise. »Das packe ich nicht.«
    »Doch, das schaffst du. Und du solltest dich bei Sina entschuldigen. Die Yoga-Idee ist eine gute Idee, und Sina ist eine gute Frau. Sie hat mehr Talent für diesen Job als ich!«
    »Das ist nicht schwer«, meint mein Vater, der sich jetzt wieder kerzengerade aufgesetzt hat. Auf seinem Gesicht liegt nun wieder die bewährte Businessmaske. Er trinkt sein Glas aus, zückt sein Portemonnaie und wirft noch einen Fünfziger auf den Tisch. Dann sieht er mich an.
    »Blut oder Wasser?«
    »Wein«, sage ich und leere ebenfalls mein Glas auf ex.

Worst Case Scenario
    »Wo sind wir?«, frage ich, als Jessica die Tür zu einem Konferenzraum hinter uns geschlossen hat.
    »Ist doch egal«, sagt sie und schaut mich aus ihren großen blauen Augen ängstlich an. »Du musst mir helfen!«
    »Wobei denn? Brauchst du ein Taxi?«, scherze ich, aber sie winkt ab und hält ihr Handgelenk direkt vor meine Augen. Es ist ein blasses, haarloses, schmales, ein sehr schönes Handgelenk.
    »Hier«, sagt sie. »Adam hat sie!« Ich sehe sie verständnislos an. Offenbar hat sie nun völlig den Verstand verloren.
    »Die Uhr, du Idiot! Adam hat die Uhr, die er deinem Vater schenken wollte.«
    »Ich dachte, sie wäre bei dir in Sicherheit?«, frage ich Jessica vorsichtig.
    »Adam hat Fotos von mir, erotische Fotos, und gedroht, sie als Rundmail an die ganze Firma zu schicken. Er muss jemanden beauftragt haben, diese Bilder zu machen, jemanden aus der Szene.« Erotische Fotos von Jessica? Und welche Szene?
    »Interessant«, sage ich ehrlich.
    Die Bilder könnten mich vielleicht kurz von meinem Liebeskummer ablenken. Der Jahrgangswein gestern hat es nämlich nicht geschafft. Ja, ich bin mit meinem Vater nach Hause gegangen. Ich schulde ihm etwas. Nicht nur Geld. Er hat mich großgezogen. Doch schon bevor die Flasche leer war, bekam er einen Anruf und musste dringend ins Büro.
    Heute Morgen habe ich noch vor zehn Uhr schon viermal im Yogastudio angerufen. Aber dort geht niemand ans Telefon.
    »Du musst dich um Adam kümmern«, fordert Jessica.
    Ich mache mit dem Finger die Halsabschneidergeste.
    »Du meinst ›kümmern‹ im Mafioso-Sinne?« Sie schaut mir tief in die Augen.
    »Nein, du sollst ihn beruflich ausschalten«, sagt sie. »Er will deinem Vater schaden.«
    »Der kann ganz gut auf sich selbst aufpassen«, finde ich. Jessica wirft mir einen tiefen Blick zu. »Es wird sich für dich lohnen.«
    Was reden die hier die ganze Zeit immer von Lohn oder Belohnung? Je länger ich Jessica anschaue, umso weniger verstehe ich, was mich mal an ihr gereizt hat.
    »Ist ja gut«, sage ich und gehe einen Schritt zurück. Die Sache mit der Uhr hatte ich eh noch auf dem Zeiger. Gestern Abend habe ich mich gegen die Liebe und für den Beruf entschieden. Error soll versuchen, Sina vor den Altar zu führen, ich bin jetzt mit meinem Job verheiratet. Und von Adam lasse ich mir den garantiert nicht wegnehmen.
    Eine halbe Stunde später stehe ich im Lab, dem outgesourcten Bastelkeller von Schnaidt-Consulting, wo mir Ben stolz seine ersten drei Öko-Kraftmaschinen präsentiert: ein Crosstrainer, eine Hantelbank und eine Seilzugmaschine. Daneben stehen Jay, Ben und Thomas. Die drei Geräte bestehen aus Edelmetall, ihr Design ist spartanisch, aber elegant. Jay drückt mir eine Karte in die Hand. Ich schiebe sie in ein kleines, matt glänzendes Kästchen. Ein Display leuchtet auf, die Anzeige zeigt »0,000 kWh«. Ich wundere mich kurz über die vielen Nachkommastellen, setze mich dann aber auf den gepolsterten Sitz und ziehe die Hantelstange an dem Metallseil herunter: einmal, zweimal, dreimal, zehnmal. Beim elften Zug springt das Display auf 0,001 kWh um. Mein Backoffice klatscht. Ich drücke auf einen grünen Knopf an dem matten Metallkasten, es rattert, und er gibt meine Karte frei.
    »Nicht schlecht«, sage ich. Thomas zuckt mit den Schultern.
    »Ein durchschnittlicher Singlehaushalt verbraucht ungefähr 2000 Kilowattstunden im Jahr«, erklärt Ben und senkt den Kopf. Ich sehe sie fragend an. »Das heißt, ich müsste hier . . .«
    »Jahrelang Gewichte stemmen«, ergänzt Thomas.
    »Das ist gut«, sage ich, obwohl ich mir da nicht so sicher bin. »Zumindest für die Fitness!«
    Für den Fall, dass nicht alle Leute das so sehen, haben sich die drei noch ein Belohnungssystem ausgedacht. Jeder

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