Heldenstellung
mit diesem bescheuerten Namen telefoniert.«
»Error«, sagt Sina automatisch.
»Genau«, entgegnet mein Vater und zwinkert ihr zu. »Frederick wollte euch ja verkuppeln. Wahrscheinlich ist er nur deshalb so nett zu dir. Du bist nämlich gar nicht sein Typ.«
Sina starrt mich kopfschüttelnd an und weicht ein paar Schritte zurück, bis sie der Stuhl aufhält. Sie hört fassungslos zu, als ihr mein Vater von Errors Idee mit dem Ring erzählt.
»Wusstest du davon?«, schluchzt Sina. Sie schreit es fast heraus, wie ein verwundetes Tier. Die anderen Gäste des Restaurants starren uns an. Ein Kellner kommt zu uns herüber.
»Ich wusste, dass sich Error für dich interessiert«, stammele ich. »Von dem Trauring habe ich erst vor ein paar Tagen erfahren.«
Der Kellner steht jetzt an unserem Tisch.
»Ich muss Sie bitten, sich ein wenig zu beruhigen«, sagt er. Sina funkelt ihn böse an. »Das wird nicht nötig sein, ich wollte eh gerade gehen.« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, springt sie auf und rennt aus dem Restaurant.
Ich stehe auf, um ihr hinterherzulaufen, da hält mein Vater mich fest.
»Ich habe etwas für dich, das deine Mutter und ich dir schon vor vielen Jahren geben wollten, aber da warst du noch nicht so weit«, sagt er und lächelt vorsichtig.
Ich sehe Sina hinterher. Vielleicht sollte ich ihr wirklich etwas Zeit für sich lassen. Der Event läuft uns ja nicht davon. Mein Vater kramt in seiner Ledertasche und zieht eine Flasche heraus.
»Ein Mouton-Rothschild, dein Geburtsjahr«, sagt er und zeigt mir das Etikett. Tatsächlich: 1983. Er stellt die Flasche auf den Tisch. »Es war kein einfaches Jahr.«
»Sie dürfen hier keinen Wein mitbringen«, sagt der Kellner. Mein Vater mustert ihn, zückt sein Portemonnaie, zieht einen Hundert-Euro-Schein heraus und hält ihn dem Kellner hin. Der schüttelt den Kopf.
»Bitte gehen Sie jetzt.«
Mein Vater nimmt noch einen Schein heraus und sieht ihm tief in die Augen, als wollte er den Mann hypnotisieren.
»Ich entschuldige mich für die Umstände und gebe Ihnen mein Wort, dass wir von nun an ruhiger sein werden.«
Dann zückt er den dritten Schein. »Bitte bringen Sie uns zwei Gläser.« Der Kellner steckt die 300 Euro ein. Kurz darauf ist er mit den Gläsern wieder da.
»Vergiss diese blöde Yogalehrerinnen-Prüfung«, sagt mein Vater. »Die macht eh keinen Sinn.«
»Wieso?«, frage ich nach. Mein Vater schenkt mir Wein ein.
»Vertrau mir einfach. Du wirst nicht mehr zu diesem Yoga gehen, das tut dir nicht gut. Es macht dich weich. Du musst dich voll auf die Khamroff-Präsentation konzentrieren, hast ja nur noch zehn Tage Zeit, um dich vorzubereiten. Das Wohl unserer Firma hängt von dir ab. Wenn du versagst, fällt das auf mich zurück.«
Ich setze mich zu ihm, schwenke das Glas und lasse den Rotwein in vielen kleinen Bahnen den Glasrand herunterperlen. Angeblich ist das ein Qualitätsmerkmal. Mich erinnern die Perlen an Tränen.
»Auf die Familie!«, sagt mein Vater. »Blut ist dicker als Wasser.«
»Auf die Familie«, wiederhole ich leise.
»Vermisst du sie?« fragt mein Vater.
»Wen? Sina?«
»Nein, die Familie.«
»Manchmal, aber ich versuche, nicht daran zu denken. Wir waren ja keine richtige Familie. Zumindest habe ich dich selten zuhause gesehen.«
Mein Vater schenkt sich nach, obwohl er noch gar nicht ausgetrunken hat. Plötzlich fällt mir auf, wie gebeugt seine Haltung ist. Er stützt den Kopf in die Hände und fährt sich durch die Haare.
»Ich . . .«, beginnt er.
»Wann warst du das letzte Mal auf dem Friedhof?«
Mein Vater zieht die Stirn in Falten und macht eine wegwerfende Handbewegung. »Ich weiß es nicht. Das ist ja jetzt auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass du deine Gefühle in den Griff kriegst.«
»Wann?«, hake ich nach. Mein Vater lehnt sich zurück, zieht die Lippen ein und presst sie aufeinander.
»Ich gehe nicht mehr zum Friedhof. Man muss Prioritäten setzen. Deine Mutter ist tot. Ich lasse das Grab auflösen.«
»Das Grab sieht aus wie Sau!«, rufe ich. »Du hättest dich darum kümmern müssen. Du hättest einen Gärtner beauftragen können. Was bist du nur für ein Witwer? So etwas macht man nicht.«
»Ich habe wieder eine Frau gefunden«, sagt mein Vater.
»Das ist mir scheißegal!«, brülle ich. Neben mir hüstelt der Kellner. Ich zücke mein Portemonnaie und drücke es ihm in die Hand.
»Hier, machen Sie sich davon einen schönen Tag!«, schreie ich. Dann schaue ich meinen Vater an. Seine
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