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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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schon als Kind von den anderen Höflingen, den Mächtigen und Schönen, ständig unverhohlene Blicke zugeworfen werden, die sagen: »Schau ihn dir an. Ein so hervorragender Wuchs, eine so beachtliche Schläue, ein so edler Schnitt seiner Züge – und dennoch wird er niemals den Thron besteigen, weil ihm ein ganzes Dutzend Vettern dabei im Weg steht. Der vergeudete Samen eines großen Geschlechts.«
    Es ist der Fluch der beinahe erfüllten Verheißung, der von Beginn an auf ihm lastete, und er verleitete ihn dazu, sich in späteren Sommern auf das Lehen zu verkriechen, das ihm sein Onkel zugewiesen hatte. Dort, so hieß es unter den spitzzüngigen Schranzen, erging er sich in unverhohlenem Groll auf sein missliches Geschick und traute sich nur noch aus seinem Bau, um kleine Beute zu machen. Für sie war er kein Wolf, kein Löwe, kein Bär – für sie war er nur ein grimmiger Dachs. Und »Gräfling« hieß dieses niedere, übellaunige Tier in der Sprache, die die Herren von Silvretsodra gesprochen hatten, als sie vor Generationen ins Reich eingefallen waren. Also fanden die Würdenträger, die nichts als Hohn für meinen Gastgeber kannten, es angesichts seiner aussichtslosen Position in der Erbfolge überaus amüsant, ihn so zu nennen. Was für feine Damen und Herren, die es verdient hätten, dass man Tag für Tag auf ihre Gräber pisst …
    Um ihnen zu trotzen und ihnen zu zeigen, was er auf ihr Geschwätz gab, tat mein Gastgeber etwas sehr Kluges: Er nahm ihren Namen für sich an und führte ihn mit Stolz. Doch wenn sie meinten, er hätte darüber seine Kränkung vergessen, sollte die Zeit ihnen weisen, dass sie einem Irrtum aufsaßen, wie er verhängnisvoller nicht hätte sein können.
    Doch du wolltest nichts vom Gräfling hören, sondern darüber, wie ich Lodaja fand. Ich war gerade dabei, mir eine Ausrede zu überlegen, wie ich den Gräfling davon abhalten konnte, meinen Kelch voll zu halten, damit mir nicht bald der Kopf auf den Tisch knallte. Da tauchte ein Bote im Saal auf. Der arme Wicht stank erbärmlich. Nach seinem Schweiß, nach dem von seinem Gaul und nach Angst. Er brachte dann auch wahrlich keine guten Nachrichten.
    »Lodaja hat wieder versucht, davonzulaufen. Die Schwestern wollen sie aus dem Kloster werfen, wenn Ihr den entstandenen Schaden nicht zehnfach vergütet, Herr.« Sprach’s und gab gleich wieder Fersengeld. Eine weise Entscheidung, weil der Gräfling einen leeren Krug packte und ihn nur knapp damit verfehlte, obwohl mein Freund ansonsten so zielsicher warf wie ein blindes Mädchen, dem man die Augen verbunden hat.
    »Wer ist Lodaja?«, fragte ich, während die gesamte Dienerschaft Reißaus nahm und die Spielleute eilig ihre Instrumente verstummen ließen, weil der Gräfling Verwünschungen brüllte, bei denen selbst eine erfahrene Hafenhure, die an einem guten Abend ganze Schiffe im Alleingang abfertigt, züchtig errötet wäre.
    »Mein Untergang«, fluchte der Gräfling, und ich musste mir den Mund fusselig reden, bis er endlich mit der Wahrheit herausrückte. »Meine Tochter.«
    Ich stutzte. Der Gräfling war eine nahrhafte Frucht, die sich manch eine Metze seit vielen Sommern schon gern gepflückt hätte, auch wenn er damals bereits ein Alter erreicht hatte, in dem andere Männer – solche mit liederlichen Töchtern oder prallsäckigen Söhnen – ihre Enkel hüteten. Erst einen Sommer zuvor hatte er sich überraschend ein Weib genommen, um den Gerüchten bei Hofe ein Ende zu setzen, er knabbere lieber Würste, anstatt Muscheln auszuschlürfen. Berguven, ein junges Ding – pechschwarzes Haar, Augen wie das Meer und einen Hintern zum Niederknien –, das ich für ihn aus einer der Provinzen im Süden mitten durch einen völlig sinnlosen Krieg zwischen zwei tollwütigen Landadligen geleitet hatte.
    Und wie ich bei diesem Besuch nun feststellte, hatte der Gräfling bei ihr nicht lange gezögert, bis er blankgezogen hatte, denn Berguvens Bauch war schon rund und fest wie ein Kürbis. Aber woher kam auf einmal diese Tochter, die er mir gegenüber zuvor nie erwähnt hatte und die jetzt anscheinend bei einigen Klosterschwestern dafür sorgte, dass den Nebelkrähen die Federn ausfielen?
    Ich fragte nach, und der Gräfling berichtete mir von einer unglücklich verlaufenden Ehe, die er auf Drängen seines Vaters vor rund zwanzig Sommern geschlossen hatte und die bereits nach nur zwei Sommern hoffnungslos gescheitert war. Wobei es eigentlich untertrieben war, von einem bloßen Scheitern zu

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