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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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Schöße denken kann.«
    Sie saßen auf einer kleinen Lichtung um ein Feuer, das Wikowar mit Schlageisen, Flint, Zunder und von Namakan gesammeltem Holz entfacht hatte. In der Nähe gluckerte und plätscherte ein Bächlein in der Dunkelheit, dessen Wasser sich keine Hundert Schritte von ihrem Lager entfernt in den unergründlichen Schlund der Narbe ergoss. Ein fremder Betrachter hätte womöglich vermutet, dass die drei Gestalten, die es sich da um die knisternden Flammen herum gemütlich gemacht hatten, schon länger Weggefährten waren. Freunde, die des Öfteren gemeinsam auf größere oder kleinere Reisen gingen und sich an ihrer Gesellschaft erfreuten.
    Namakan hingegen wollte immer noch nicht ganz glauben, wie gelassen sich Dalarr angesichts seiner Entscheidung gezeigt hatte. Als er nach dem Zwischenfall am Felsen zu seinem Meister aufgeschlossen hatte – samt seinem wiederbeschafften Umhang und dem dankbaren Händler –, war Namakan eigentlich auf einen geharnischten Ausbruch gefasst gewesen. Dalarr jedoch hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt – und vor allem hatte er glücklicherweise keins seiner Schwerter gezogen, um es Wikowar durch den Bauchladen hindurch in den Wanst zu stoßen. Auf die Frage, ob es ihn störte, dass ihr ehemaliger Nachsteller sie nun ganz offen begleitete, hatte Dalarr geantwortet: »Mir soll es recht sein. Er kann gerne sehen, wie wir über die Narbe kommen.«
    »Hättest du es auch so gemacht wie ich?«, hatte Namakan nachgehakt.
    »Was schert es das Eisen noch, sobald es geschmiedet wurde?«, war Dalarrs Erwiderung gewesen. »Du hast deine Entscheidung getroffen, und jetzt müssen wir alle damit leben.«
    Kurze Zeit später hatte der Weg geendet. Er hörte einfach auf, als wäre denjenigen, die ihn vor langer Zeit am Rand der Narbe angelegt hatten, an dieser Stelle plötzlich die Lust an ihrer Arbeit vergangen. Dalarr störte das nicht. Er zurrte nur seinen Rucksack fester und schritt dann unbeirrt in den Wald hinein, dessen Bäume von da an ihre Äste mutig über die Kante des Abgrunds streckten. Verirren konnte man sich hier ja auch kaum, denn die Narbe gab unverwandt die Richtung vor. Beim Einsetzen der Dämmerung stießen die Wanderer auf eine kleine Lichtung, die Dalarr zum Lagerplatz für die Nacht auserkor. Während Wikowar und Namakan sich um das Feuer kümmerten, verschwand Dalarr im Unterholz, um wenig später mit zwei toten Haselhühnern am Gürtel zurückzukehren. Erst fragte sich Namakan, wie es dem Meister wohl gelungen war, die Vögel ohne Pfeil und Bogen zu erlegen, doch dann fiel ihm ein, mit welchem Geschick Dalarr in der Nacht zuvor eines seiner Schwerter nach dem flüchtenden Mordbrenner geworfen hatte. Als sie begannen, die Haselhühner zu rupfen, hatte Wikowar den Pflaumenwein zum Vorschein gebracht, den er unter ständigem Quasseln zwischen ihnen kreisen ließ. Der Wein war süß – süßer noch als das Fleisch der Haselhühner –, und er stieg einem ohne Umschweife in den Kopf. Das war wahrscheinlich auch der Grund, weswegen Wikowar die Zunge immer lockerer saß.
    »Es gibt ja noch mehr als Weiber und Röcke auf der Welt.« Der Händler nahm sich Dalarrs letzte Rüge zu Herzen. In der Folge wirbelten seine Ausführungen umher wie ein Brummkreisel: Offenbar überstieg sein Eifer, von den Wundern der Welt zu berichten, seine Fähigkeit, länger als nur ein paar Sätze an einem einzelnen Gedanken festzuhalten.
    »Kennst du die Ewigen Reiter aus der Dornensteppe?«, fragte er, ohne auf eine Antwort zu warten. »Sie haben vor vielen Generationen gelernt, wie man die Hauerschweine zähmt, die in der Steppe leben. Und das sind nicht irgendwelche Schweine. Ein Eber kann so riesig wie ein Haus werden und ein halbes Dutzend Menschen auf seinem Rücken tragen. Große Menschen selbstverständlich. Und seit die Ewigen Reiter diesen Ungetümen Zaumzeug angelegt haben, verbringen sie ihr ganzes Leben auf ihnen. Sie werden darauf geboren, und sie sterben auch darauf. Erst wenn sie tot sind, werfen ihre Sippen sie herunter, damit die Schweine sie fressen können. Damit sie eins mit der Bestie werden, die ihnen ihr ganzes Leben über Heim, Waffe und Freund zugleich gewesen ist.«
    Das muss er sich ausgedacht haben, mutmaßte Namakan. Niemand möchte auf einem Schwein leben, ganz gleich, wie groß es auch sein mag. Schweine stinken. Und außerdem müssen sich Schweine suhlen. Wie soll das gehen, wenn diese Menschen auf ihrem Rücken leben? Sie würden doch dabei

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