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Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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ehrlich, wir sind ehrlich, ehrliche Häute,
    wir verkaufen viel Glück an die tüchtigen Leute!
    Ach wie viel Glück für ach wie wenig Geld!«
    Namakan lachte. Nicht so sehr, weil er den Vers sonderlich komisch fand. Es hing vielmehr mit der Beherztheit des Vortrags und des Vortragenden zusammen. Ich habe richtig entschieden. Ich bin froh, dass er da ist. Ohne ihn hätten wir keinen Wein. Ohne ihn würde keiner hier singen, und wenn, dann bestimmt kein fröhliches Lied. Namakan summte die Weise mit, während Wikowar die zweite Strophe sang:
     
    »Händler sind die größten Lumpen der Welt:
    Wir sind freundlich, wir sind freundlich, freundliche Seelen,
    wir verkaufen rasch weiter, was immer wir stehlen!
    Ach wie viel Raub für wie wenig Geld.«
    Bei der dritten Strophe schließlich sah Namakan aus den Augenwinkeln sogar die Fußspitzen seines Meisters im Takt wippen. Irgendetwas an dieser unscheinbaren Bewegung löste zu gleichen Teilen Erleichterung und Bedauern in ihm aus. Es ist fast wie früher, wenn wir daheim gesungen haben. Fast.
     
    »Händler sind die besten Huren der Welt:
    Wir sind sauber, wir sind sauber, saubere Weiber,
    Wir verkaufen dem König gern unsere Leiber!
    Ach wie viel Schutz für ach wie wenig Geld!«
    Wikowar wiederholte die letzte Zeile noch einige Male, lauter und lauter, als wartete er darauf, dass Namakan und Dalarr einsetzten. Warum sein Meister es nicht tat, wusste Namakan nicht. Er selbst hatte sich an einem Wort aus der letzten Strophe verbissen, das wieder und wieder in seinem Kopf nachhallte. König. König. König.
    »Warum?«, platzte es nun aus ihm heraus. »Warum?«
    »Warum was, hm?«, wollte Dalarr wissen.
    »Warum ist …?« Namakans vom Wein unbeholfenes Denken machte es ihm schwer, die richtigen Worte zu finden. »Warum ist Arvid überhaupt jemals König geworden?«
    Dalarr legte die Stirn in Falten, und wegen des Scheins des Feuers war es für Namakan einen flüchtigen Augenblick so, als stünden sie wieder gemeinsam an der Esse, deren Glut sie nie mehr schüren würden. »Warum hätte er nicht König werden sollen?«
    »Muss ein König denn kein guter Mensch sein? Oder wenigstens irgendetwas Gutes an sich haben, das groß genug ist, damit seine Untertanen ihm folgen? Die Könige in den Geschichten, die Lodaja uns erzählt hat, hatten alle immer etwas Gutes.«
    »Der Kleine war wirklich noch nie runter von den Almen, was?«, sagte Wikowar.
    Dalarr achtete nicht auf die schnippische Bemerkung des Händlers. Er schaute weiter zu Namakan, doch seine Miene veränderte sich. Sie wurde weicher, und das warme Licht des Feuers spiegelte sich auf seinen Zähnen, als sich seine Lippen zu einem Lächeln teilten. Es war ein sonderbares Lächeln, wie von jemandem, der sich an etwas erinnerte, was ihm einmal lieb und teuer gewesen war und das er schon vor langer, langer Zeit verloren hatte. »Könige sind Menschen, auch wenn sie es selbst gerne vergessen und es alle anderen vergessen machen wollen. Und wenn sie das erst einmal geschafft haben, sind sie für das Gute verloren. Arvid ist so ein König.«
    »Dann war er also einmal gut?«, fragte Namakan.
    »Du hast mir nicht richtig zugehört«, antwortete Dalarr. »Arvid war einmal … anders. Lass es mich dir erklären.«

7
    Die Händler meinen, je größer eine Zahl wird, desto mehr Macht bringt sie zum Ausdruck.
    Ganz offenkundig achten die Händler zu wenig auf die Zahlen, die ich und meinesgleichen den hohen Herren unseres Reichs in den Nacken schreiben. Sonst wüssten sie, dass sich ihre oft genannte Regel bei diesen Zahlen in ihr Gegenteil verkehrt. Manchmal ist weniger tatsächlich mehr.
    Aus den Erinnerungen des Königlichen Hautschreibers Nalen
    Erinnerst du dich noch an den Gräfling? Den Adligen, von dem ich dir gestern erzählt habe? Den Vater von Lodaja? Gut.
    Ich war noch damit beschäftigt, mein neues Glück mit seiner Tochter auszukosten, während in Arvid eine unheimliche Veränderung einsetzte. Wer weiß? Wenn Lodaja nicht gewesen wäre, wäre mir womöglich aufgefallen, was da mit ihm vor sich ging. Liebe macht bekanntlich blind.
    Und nicht nur bei Arvid versperrten mir Lodajas Reize den Blick. Mit Waldur erging es mir ebenso. Vielleicht ist das sogar noch tragischer. Vielleicht hätte ich verhindern können, dass Arvid den Thron bestieg, wenn ich nur meinem alten Freund so beigestanden hätte, wie er es verdient hatte. Eines habe ich in all den Sommern, die ich auf dieser Welt wandle, gelernt: Nichts kränkt

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