Heldenzorn: Roman (German Edition)
Boden.
»Was war das?«, fragte Nesca.
Dann zischte etwas an seinem Ohr vorbei, und es war ein Zischen, das er aus Jugendtagen gut kannte, wenn er und die anderen Halbstarken sich damit vergnügt hatten, einander Pfeile möglichst dicht am Ohr vorbeizuschießen. Er duckte sich hinter den Toten und suchte nach den Schützen. Schräg unter ihnen flogen zwei Echsen, deren Reiter im Begriff waren, ihre Armbrüste nachzuladen. »Die Geister stehen uns bei!«
»Was?«
»Da unten!«
»O nein!« Nesca klammerte sich fester an ihn. »Weich ihnen aus!«
»Ich weiß nicht, wie man eine Echse reitet!«
»Du lenkst unsere Echse nicht?«
»Nein!«
»Wer dann?«
»Ein Drache.«
Nesca lachte irr auf und verstummte jäh wieder, als die nächsten beiden Bolzen blutige Löcher in die Flughäute ihrer Echse stanzten.
Verflucht! Teriasch hielt Ausschau nach ihrem Ziel, denn er hegte nicht den geringsten Zweifel, wohin Schwarzschwinge seinen Bastardsprössling leitete – zum Turm des Wassers, von dessen Spitze sich unvorstellbare Massen jenes Elements, das dem Bauwerk seinen Namen gab, in die Tiefe stürzten. Das schaffen wir nie! Wenn sie uns nicht treffen, dann treffen sie die Echse, und wenn die Echse stirbt … Sein Magen klumpte sich krampfhaft zusammen.
Und noch im selben Moment war es, als versuchte der freche Ballen sich aus seinem Mund herauszuquetschen, denn ihre Echse legte die Flügel an und schoss in einem schrägen Winkel nach unten. Der Tote vor ihm drängte sich Teriasch entgegen, und für einen Augenblick verlor er jegliche Orientierung. Er spürte die Muskeln, die den Schwingen der Echse ihre Beweglichkeit verliehen, unter seinen Schenkeln pulsieren. Er hörte Flüche, die in Gekreisch endeten. Ein sattes Klatschen ertönte, sein Hintern hob sich kurz vom Rücken der Echse, als ein heftiger Ruck ihn von dem Tier herabzuschleudern drohte. Er schrie. Er meinte, schuppige Haut an seinem Gesicht vorbeischrammen zu spüren, dann wusste er nicht mehr, wo oben und unten war. Drei schreckliche Herzschläge lang war er felsenfest überzeugt, dass sie abstürzten. Aus dem Trudeln wurde wieder ein rasches Vorangleiten, als die Echse die Schwingen wieder spreizte und sich von einem günstigen Aufwind in die Höhe heben ließ.
»Wir haben sie gerammt!«, jubelte Nesca. »Wir haben sie einfach gerammt!«
Teriasch schaute nach unten. Ihre Verfolger schlugen irgendwo in den Herrschaftlichen Gärten ein, rissen Gräben in Rasenflächen und walzten Sträucher platt. Er hätte gern in Nescas Triumphgeheul eingestimmt, aber ihm fiel auf, dass die Flügelschläge ihrer Echse immer matter wurden. Sie verblutet! »Wanderin, schenk ihr Kraft, den Weg zu Ende zu gehen.« Feiner Nebel benetzte seine Haut mit winzigen Tröpfchen. Die Wasserfälle! Es ist nicht mehr weit. Es ist nicht mehr weit!
Als ob die Echse oder zumindest ihr Urvater seinen Gedanken lauschen konnte, schlug sie noch einmal kräftiger mit den Schwingen. Teriasch hörte über dem Donnern des Feuerwerks das Tosen des Wassers, und dann prallten sie hart gegen die Kante des Turms. Die Klauen des Reptils scharrten und kratzten auf dem Stein. Stück für Stück schob sie ihr eigenes Gewicht voran, über die Kante hinweg, und dann sackte sie in sich zusammen.
»Runter!«, schrie Teriasch. »Runter!«
Nesca glitt vom Rücken der Echse, und noch bevor ihre Füße den Turm berührten, tat Teriasch es ihr gleich, heilfroh, endlich die Leiche des Echsenreiters aus seiner Umklammerung zu entlassen.
Die Echse starrte ihn an, ihr Blick klüger, als der eines Reptils hätte sein dürfen. »Danke!«, sagte er. »Danke.«
Das Tier begann rückwärts zu kriechen, und der weise Funken in seinen Augen verglomm in jenem Moment, da es von der Kante rutschte. Sein Schrei war stolz und frei. Es stirbt im Flug, wie es für seine Art wohl der schönste Tod sein muss.
Nesca riss Teriasch aus seinen Gedanken. Sie stand dicht an der Kante, an der sie suchend entlangsah. »Hilf mir die Treppen suchen!«
»Nein.« Teriasch zog den Drachenzahn. »Geh allein, wenn du willst. Ich mache dem ein Ende.«
»Was meinst du? Was …« Sie stockte. »Bei allen Acht! Ich … Die Gärten brennen!«
»Das ist das Feuerwerk.«
Sie lachte auf, wie man über ein Kind lachte, das etwas Blödsinniges vor sich hin plapperte.
»Was lachst du so?« Irgendetwas daran fachte seinen Zorn an, heiß und gierig darauf, endlich brennen zu können. Er blieb nicht ungehört.
»Warum willst du uns nicht
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