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Heldenzorn: Roman (German Edition)

Heldenzorn: Roman (German Edition)

Titel: Heldenzorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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Zorn.
    Als sie die Hälfte der Strecke zum Fuß des Turms hinter sich gebracht hatten, erbebte die Erde und ein Zittern lief durch das Bauwerk. Teriasch befürchtete schon, die Austreibung des Kala Hantumanas könnte dem Bauwerk die Tragfähigkeit geraubt haben, da erkannte er, woher das Beben tatsächlich rührte: Der Turm der Erde stürzte grollend ein. Er kippte nicht einfach jäh zu einer Seite um wie ein Mensch, der die Besinnung verlor. Sein Ende war von einer majestätischen Würde, die einem den Atem raubte. Stück für Stück sackte er langsam in sich zusammen und bedeckte seine eigenen Trümmer fast schamhaft unter einer gewaltigen Staubwolke. Gerade als Teriasch und Nesca in wortloser Ergriffenheit ihren Abstieg fortsetzen wollten, wühlte sich etwas aus dem Schutt der jungen Ruine. Ein Rüssel so dick und so lang wie die höchsten Baumriesen im Wispernden Dschungel peitschte umher, wickelte sich um Brocken aus geborstenem Fels und schleuderte sie beiseite wie Wattebäusche. Unter andere schoben sich gewaltige Stoßzähne, um die Blöcke auszuhebeln. Laut schallte der Triumph der Mutter aller Rüssel durch die Nacht, als sie sich endgültig aus ihrem Kerker herausgearbeitet hatte, und überall in der Stadt antworteten ihr ihre zahlreichen Kinder. Es war, als wäre der Donner selbst aus dem Himmel herabgestiegen, um die Erde herauszufordern.
    Sogar sein Besuch bei Schwarzschwinge in der Drachenhöhle hatte Teriasch nicht ausreichend auf die Ausmaße der Mutter aller Rüssel vorbereiten können. Fast traute er seinen Augen nicht. Ich träume. Ich muss träumen! Es mochte sein, dass ihn die Entfernung und die Dunkelheit täuschten, doch er schätzte, dass sie mehr als zwanzigmal so groß sein musste wie der mächtigste Vertreter ihrer Art, den er in seiner Zeit unter den Harten Menschen gesehen hatte. Auf ihrem Rücken sträubte sie einen Kamm aus borstigem Fell, ihre vier Stoßzähne waren doppelt gewunden, und aus ihren Ohren hätte man mühelos Segel für ein Schiff machen können. Sie schüttelte sich und trabte geruhsam auf die Mauer zu, die den Palastbezirk umgab. Teriasch fühlte sich in die Schlacht um die Arx auf der Steppe zurückversetzt, nur dass die Mutter aller Rüssel kein Feuer fürchtete. Und sie brauchte auch nicht mehrere Stöße, um ihr Hindernis zu durchbrechen. Ein einziger genügte, und sie hatte eine Bresche in die Mauer geschlagen, durch die sie ihren Leib schieben konnte. Sie erweckte ganz den Eindruck, als wüsste sie sehr genau, wohin sie ihre säulenartigen Beine tragen sollten, und sie nahm keinerlei Rücksicht auf die Häuser, die ihr dabei im Weg standen.
    »Wo will es hin?«, fragte Nesca tonlos.
    »Nach Hause«, antwortete Teriasch ihr.
    »So wie du, jetzt wo du nicht mehr mein Sklave bist?«
    Ihm entging die Furcht in ihrer Stimme nicht, und es freute ihn, sie lindern zu können. »Erst habe ich noch ein Versprechen einzulösen.«
    In den Straßen Kalvakorums spielten sich widersprüchliche Szenen ab, nun da die herrschende Ordnung mit ihren klaren Fronten zwischen Herren und Sklaven aufgehoben war. Manche Menschen tanzten und weinten vor Glück, weil ihr Kollare von ihnen abgefallen war. Andere hockten schluchzend und zusammengekauert da, während ihnen ihre einstigen Untergebenen sämtliche Kleider vom Leib rissen und sie bespuckten. Die ehemaligen Sklavenbesitzer, die überhaupt noch Tränen vergießen konnten, durften sich jedoch noch glücklich schätzen. Überall, wohin Teriasch seinen Blick auch wandte, sah er Leichen. In umgestürzten Sänften. Halb aus den Fenstern brennender Läden heraushängend. In den Rinnsteinen, wo Ströme von Blut flossen. Vor geplünderten Marktständen. Erschlagene, Erdrosselte, Erstochene, in Stücke Gerissene, in Brunnen Ertränkte, von Probaskas Zertrampelte. Die Freiheit, die über Kalvakorum hinwegfegte, war kein sanfter Wind der Veränderung; sie war ein wütender Sturm, der so unendlich lange darauf gewartet hatte, entfesselt zu werden, dass seine Zerstörungslust keine Grenzen mehr kannte.
    Jener erschöpfte Teil in ihm, der der Sitz seines Zorns gewesen war, zeigte sich sehr zufrieden. Das ist der Preis, den die Harten Menschen dafür zahlen, dass sie auf die verlogenen Geister ihres Landes gehört haben, als sie ihnen einflüsterten, etwas für die Ewigkeit zu errichten. Nichts währt ewig. Nicht einmal die Lüge. Er musterte Nesca, die mit ihm am Fuß des Turms stand und das grausame Treiben aus ausdruckslosen Augen beobachtete.

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