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Heldenzorn: Roman (German Edition)

Heldenzorn: Roman (German Edition)

Titel: Heldenzorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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seinen Griff um den Drachenzahn lockerer werden.
    Er stand im Schatten des Turms der Erde und sah, wie das Geschwisterpärchen das angekettete Probaska mit einer toten Ratte quälte.
    »Es ist geschehen. Warum willst du nicht vergessen?«
    Eine furchtbare Erinnerung nach der anderen machte sich der Wurm zu eigen und linderte den Zorn, den sie in Teriasch weckten, bis seine rechte Hand kraftlos von seiner Waffe abglitt.
    Er roch das nutzlos vergossene Blut des Echsenreiters mit den toten Beinen, der mit ihm und Pukemasu in einem Zelt gelebt hatte.
    »Es ist geschehen. Warum willst du nicht vergessen?«
    In seinem linken Arm breitete sich eine angenehme Taubheit aus, und er erkannte den Reiz darin, sich der Liebe des Wurms hinzugeben.
    Er hörte die Spottlieder, die Geheka auf ihn sang, weil er nicht wusste, wo er nach seinen Eltern zu suchen hatte, wenn er irgendwann zu seinen Ahnen gehen würde.
    »Es ist geschehen. Warum willst du nicht vergessen?«
    Er begann, die Finger seiner Linken zu öffnen.
    Er saß in einem Zelt, umgeben von Flammen und Rauch, in der Zeit, als sein Name noch nicht Teriasch gewesen war. Er hatte Angst, denn draußen schrien die Leute und wieherten die Pferde vor Furcht. Er schrie alle Namen, die er kannte, doch obwohl niemand kam, konnte er nicht aufhören, sie herauszuschreien. Scheschoka. Gopatanka. Mado. Tamni. Und den Namen seiner Mutter, wieder und wieder. Wakijela. Wakijela.
    »Es ist geschehen. Warum willst du nicht vergessen?«
    Eine Hand schloss sich um seine, gemeinsam um den Zahn. »Ich bin hier«, sagte eine Stimme, die nicht viele Stimmen war. Und doch gehörte die Stimme nicht zu einem der Menschen, nach denen er geschrien hatte. Diese Menschen würden nicht mehr kommen, denn diese Menschen waren tot. Alle. Und der Wurm hatte sie umgebracht, denn der Wurm hatte die Harten Menschen in die Steppe geführt.
    »Ich bin hier.« Es war eine Wahrheit, genauso wie es eine Lüge war. Und die Lüge nährte Teriaschs Zorn, wie er noch nie genährt worden war. Das Feuer erfüllte ihn ganz, bis er nur noch das Feuer war, und das Feuer schrie, weil das Feuer schreien musste. Der Zahn in seinen Händen glühte, das Kollare troff ihm in geschmolzenen Tropfen von der Brust.
    »Wir hassen dich!«, brüllte der Kala Hantumanas. »Wir hassen dich! Wir hassen sie! Wir hassen euch alle!« Dann verschlang ihn das Feuer, und er fuhr auseinander wie eine Wolke aus Dampf, die von einem unbändigen Sturm in alle Winde verstreut wurde.
    Teriasch fiel nach hinten in die Arme, von denen er wusste, dass sie ihn immer auffangen würden, ganz gleich, wie tief er auch stürzte.
    Er erwachte mit dem Kopf in Nescas Schoß. Ihr rotes Haar klebte ihr feucht in der Stirn, und er wähnte sich schon zurück im Herrschaftlichen Bad. Sie streichelte ihm die Wangen, beugte sich herab und küsste ihm die Stirn. Warum weint sie? Ist es der Nebel? Nein, es ist kein Nebel. Es ist Dampf.
    »Ich dachte, du wärst tot.«
    Tot bin ich nicht. Aber … leer. Da ist kein Zorn mehr in mir. »Ist es tot?«
    »Ja.«
    »Du hast mir geholfen, es zu töten.«
    Sie nickte. »Woher kennst du sie?«
    »Wen?«
    »Die Namen, die du gerufen hast. Scheschoka, Mado, Wakijela.«
    »Ich weiß es nicht. Wieso?«
    »Weil ich sie kenne. Aus den Geschichten meiner Mutter. Sie gehörten zu der Sippe, die sie für meinen Vater verlassen hat.«
    Als so erneut Wahrheit und Lüge zusammenfielen, zog er sie zu sich herab und hielt sie fest, als wollte er sie nie mehr loslassen.

24

     
Alle Drachen häuten sich.
Gefesselte Drachen häuten sich schnell.
Tristborner Wort der Warnung an all jene, die sich auf Handel mit Drachen einlassen
     
    Der Turm mochte kein Wasser mehr speien, doch die Stufen der Treppe, die sich um ihn wand, waren noch immer glatt vor Nässe. Nesca und Teriasch hielten sich bei ihrem Abstieg dicht an der Wand, auch wenn die Versuchung groß war, nah an den Rand zu treten: Von den Straßen Kalvakorums drang ein beunruhigender Lärm hinauf zu ihnen – Schreie des Jubels und Schreie des Grauens. Inzwischen brannten nicht nur die Herrschaftlichen Gärten, auch in den Vierteln jenseits der Mauern des Palastbezirks wüteten Brände, wenn auch scheinbar von gewöhnlicherer Natur, denn ihre Flammen loderten in einem vertrauten Rot. Rauchschwaden zogen wie Heere schwarzer Geister über die Dächer. Teriasch ahnte, was die Ursache der Feuersbrünste war. Es geht nicht allen Sklaven so wie mir. Nicht in allen erlischt nach ihrer Befreiung der

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