Heldenzorn: Roman (German Edition)
rechte Handfläche. Fasziniert beobachtete er, wie aus der kleinen, brennenden Wunde sein Blut den Zahn hinaufstieg, in hauchfeinen Bahnen, als wäre der Kristall von winzigen Äderchen durchzogen. Lass mich jetzt nicht im Stich, Drache! Er spähte zu den kreisenden Echsen hinauf, ehe ihn ein lautes Keuchen daran erinnerte, dass drei Schritte neben ihm Nesca um ihr Leben kämpfte.
Die Sorge um sie schien unbegründet. Einem Ausfallschritt des Pollox begegnete die Pupula mit einer blitzschnellen Drehung um die eigene Achse, bei der sie in der Hüfte so einknickte, dass sein Stoß weit danebenging. Nach einer weiteren Drehung war sie schon beinahe ganz hinter ihn gewirbelt. Sie tanzt! Ihre Hände beschrieben einen raschen, seitwärts mit beiden Klingen geführten Bogen. Allein dadurch, dass er im letzten Augenblick die Schultern hob und den Kopf nach vorn nahm, verhinderte der Pollox, dass Nescas Dolche ihm in den Nacken fuhren. Ihre Spitzen kratzten ihm nur über den Rücken, doch sie schnitten dennoch durch den Stoff seiner weißen Robe und in die Haut. Sein Schrei entlockte Nesca ein finsteres Lachen. Er sprang geduckt zwei, drei Schritte voran, fast bis zur Brüstung der Terrasse. Einen echten Fluchtweg gab es für ihn nicht, denn hinter der Balustrade lag nur noch die glatte Schräge des goldenen Daches. Er wandte sich zu seiner Gegnerin um. »Pupula, habt doch ein Einsehen!«
Teriasch packte den Drachenzahn mit seiner unverletzten Hand wie ein Schwert, nickte Nesca zu und wollte gemeinsam mit ihr auf den Pollox eindringen. Sie richtete jedoch einen ihrer Dolche auf Teriasch und sagte kalt: »Er gehört mir!«
Eigentlich wollte Teriasch nur sehen, wie der Pollox diese Ankündigung annahm, doch er wurde Zeuge eines weitaus faszinierenderen Schauspiels: Aus dem Verband der Flugechsen, die in der Dunkelheit wenig mehr als gewaltige, düstere Schemen waren, scherte eines der Tiere überraschend aus und vollführte eine halbe Rolle. Sein Reiter, der nun jäh mit dem Kopf nach unten im Sattel hing, brüllte noch, aber es war bereits zu spät. Die Echse prallte in das Reptil, das neben ihr flog, und kurz waren die beiden zu einem Knäuel aus zappelnden Schatten vereint, das zehn oder zwanzig Schritt in die Tiefe sackte. Dann löste sich das Gewirr auf, und eine der Echsen stieg wieder nach oben. Wo der Reiter nur wenige Wimpernschläge zuvor noch stolz und aufrecht gesessen hatte, baumelte er nun wie eine Lumpenpuppe auf dem Rücken seines Reittiers. Schwarzschwinge! Er hat mich gefunden!
Nesca hatte keine Augen für das Geschehen in der Luft. Ihre gesamte Aufmerksamkeit galt dem Mann, der ihr Attentäter und Giftmischer auf den Hals gehetzt hatte. »Leg den Kopf zurück und rühr dich nicht, Kontentio«, empfahl sie ihm in einem Tonfall, der grausam und anziehend zugleich war. »Ein schneller Stich ins Auge nur, Kontentio. Es wird nicht wehtun, ich gebe dir mein Wort.«
Sie hatte den Dolch zum tödlichen Stoß noch nicht erhoben, da brüllte jemand: »Nein!«
Nesca zögerte, obwohl Teriasch sie stumm anfeuerte. Stich zu! Stich doch zu! Diantis humpelte schneller heran, als Teriasch es für einen Menschen möglich gehalten hätte, dessen Knie bei jedem seiner Schritte in einem anderen Winkel auszubrechen schien. Ihr linker Arm schlackerte schlaff an ihrer Seite, der Schulterschutz von wuchtigen Schlägen verbeult. Der rechte war indes unverletzt, und sie holte mit ihrem Streitkolben zu einem wilden Überkopfhieb aus. Nesca wandte sich ihr zu – eine ohnmächtige Geste, denn es würde ihr nie gelingen, die schwere Waffe der Rose mit ihren kurzen Dolchen zu parieren. Der Pollox nutzte die Gelegenheit: Er floh entlang der Balustrade, vielleicht sogar aufrichtig erleichtert darüber, nicht die grausige Tat vollbringen zu müssen, die ihm seine Leibwächterin nun abzunehmen gedachte.
Carda torkelte heran, ihr Gesicht eine blutige, zerschmetterte Maske. Sie warf sich ihrer Ordensschwester in den Weg, fasste sie um die Hüfte – und dann waren sie auch schon gegen das Geländer geprallt und vom Schwung von Cardas Sprung darüber hinweggeschleudert. Sie schlitterten über das Dach, überschlugen sich einmal, zweimal, ehe die Dunkelheit sie verschluckte.
»Carda!«
Nescas gepeinigter Aufschrei vermischte sich mit dem Heulen und Schluchzen, das der Dominex in unverminderter Lautstärke von sich gab – und dem Getrampel von Stiefeln auf Marmor und dem Klirren von Rüstungen. »Ergreift sie!«, hörte Teriasch den Pollox
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