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Heldenzorn: Roman (German Edition)

Heldenzorn: Roman (German Edition)

Titel: Heldenzorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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Menschen – erweckte den Anschein, als hätte er den Blitz und den Schrei bemerkt. Alle Blicke waren nach wie vor auf die Rüsselschnauze gerichtet, in die Teriaschs Zorn für eine kurze Zeit eingefahren war. Das Tier hatte sich nach dem Hieb gegen sein metallenes Halsband, dessen Einschlüsse zu glühen schienen, merklich beruhigt. Beinahe verschämt hielt es den Kopf gesenkt und zupfte mit seinem Rüssel am Gras.
    »Was war das denn?«, rief der Löwenhelmträger zum Lenker hinauf, der nun wieder fest in seinem Sattel saß.
    »Keine Ahnung, Spuo.« Geschickt fing der Mann den Hakenstock auf, den ihm sein Befehlshaber nach oben warf wie einen Speer. »Das hat sie noch nie gemacht. Aber am Kollare kann es nicht liegen, wie du uns ja selbst gezeigt hast. Das Band ist nicht gebrochen.« Er beugte sich nach vorn, um die Rüsselschnauze in dem Borstenbüschel auf ihrem Scheitel zu kraulen. »Könnte sein, dass sie sich vor einem Erdhörnchen erschreckt hat. Probaskas mögen keine kleinen pelzigen Dinge, die sich schnell bewegen.«
    »Genug Kraft, um ein Haus einzureißen, aber panische Angst vor Mäusen.« Spuo schüttelte den Kopf und gab seinen Männern ein Zeichen, den Marsch fortzusetzen. »Fast wie meine Mutter.«
    Dokescha stieß Teriasch mit dem Ellenbogen an. »Auf drei, ja?«
    Teriasch nickte, während Dokescha den nächsten Schritt auf ihrer gemeinsamen Reise vorzuzählen begann. Was ist hier gerade geschehen? Was hat meinen Zorn zurückgedrängt? Er blickte von seinen Füßen auf in die Weite der Steppe. Am Horizont glaubte er die Silhouette eines einsamen Mannes zu erkennen – nur ein länglicher, schemenhafter Fleck auf verwaschenem Grund –, doch als er die Augen zusammenkniff, um näher hinzusehen, war die Gestalt verschwunden.
    Mit dem Einsetzen der Dämmerung endete der Marsch für diesen Tag. Auf Spuos Geheiß bauten die Harten Menschen drei von ihren eckigen Zelten auf: zwei größere, von denen eines für die Soldaten und das andere für die Gefangenen bestimmt war, sowie ein kleineres, dessen Spitze mit einem bronzenen Löwenkopf geschmückt war und das Spuo allein bezog.
    Bevor sie das Zelt betreten durften, wurden die Gefangenen gestenreich und voll bitterem Spott aufgefordert, sich noch einmal zu erleichtern. Da sowohl Teriasch als auch Dokescha lediglich den Drang verspürten, ihr Wasser abzuschlagen, boten sie ihren Häschern wenigstens nicht das unwürdige Schauspiel, aneinandergekettet ihren Darm zu leeren. Danach gab es wieder Brot und Wasser für die Gefangenen, gereicht von dem Soldaten, der dazu abkommandiert worden war, vor dem Eingang ihres Zelts Wache zu halten.
    Das Zelt selbst war einigermaßen geräumig, wenn auch völlig schmucklos – keine Felle, keine Häute, keine Schnitzereien an den Stangen, keine Malereien an den Planen. Bald staute sich der scharfe Geruch von Schweiß, wie ihn nur eine Mischung aus Angst und überstandener Anstrengung zu erzeugen vermochte. Dokescha wählte für sich und Teriasch einen Ruheplatz dicht am Eingang, den ihnen niemand streitig machte.
    Teriaschs Kettenbruder genoss unter seinen Freunden ein hohes Ansehen, und er stellte Teriasch all seine Begleiter vor, die mit ihm in Gefangenschaft geraten waren. Teriasch lächelte viel und nickte oft, behielt aber nicht einen einzigen Namen, weil sein Verstand immer noch darum rang, einen Sinn in dem unheimlichen Vorgang mit der Rüsselschnauze zu erkennen.
    Das Einschlafen erwies sich als doppelt schwierig. Zu seinen rasenden Gedanken kam der Umstand, dass Dokescha sich lange unruhig hin und her wälzte. Mal schlug er Teriasch versehentlich den Arm ins Gesicht, mal stieß er ihm das spitze Knie in den Schenkel. In der Hoffnung, Pukemasu könnte inzwischen auf eine Traumsuche nach ihm gegangen sein und er würde seiner Lehrmeisterin irgendwie verraten können, wohin ihn die Harten Menschen verschleppt hatten, dämmerte Teriasch endlich weg.
    Er wurde davon geweckt, dass jemand seinen Namen sagte. Zumindest schlug er deshalb die Augen auf, denn er war sich bei dem Anblick, der ihn erwartete, nicht mehr sicher, ob er nicht doch noch träumte.
    Im mondbeschienenen Eingang des Zelts – eine Armlänge vom Wächter entfernt, der niedergesunken an einer der Stangen leise schnarchte – saß der feige Geist, dem er vor der Schwitzhütte begegnet war. Er hatte die Beine überkreuz und das, was Teriasch bisher für eine Keule gehalten hatte, auf dem Schoß. Die langen Finger seiner linken Hand pressten die

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