Heldenzorn: Roman (German Edition)
wie weit die Arme des Dominums bereits in die Steppe hineinreichten. Zwei Tage, in denen Teriasch sich die Haut unter den Ketten um sein Handgelenk und seinen Knöchel wundgescheuert hatte. Zwei Tage, in denen die Soldaten nach und nach das Interesse an ihm und der Tatsache verloren, dass er ihre Sprache sprach. Zwei Tage, in denen Dokescha an seiner Seite unablässig »Sie werden kommen, sie werden kommen« vor sich hingemurmelt hatte wie eine Beschwörungsformel, die durch unablässige Wiederholung an Kraft gewann.
Selbst in den Nächten hatte Dokescha kaum geschwiegen. Er führte gewisperte Unterhaltungen mit den Freunden aus seiner eigenen Sippe, in die er irgendwann auch die Krallendaumen einband. Er schmiedete verzweifelte Pläne, wie die Gefangenen ihre Retter wohl unterstützen konnten, sobald diese auftauchten, um die Harten Menschen anzugreifen – Pläne, denen Teriasch keine Beachtung schenkte. Er zerbrach sich vielmehr den Kopf über die Ratschläge, die ihm Fulmar, der Geist der Geschichten, gegeben hatte. Und er zweifelte daran, dass der Zeitpunkt seiner Befreiung so nahe lag, wie es sich Dokescha für sie alle erhoffte.
Beim Anblick der Festung, die die Harten Menschen errichtet hatten, wurden diese Zweifel zur Gewissheit. Woher das Holz für die Palisaden und das Tor stammten, war Teriasch zunächst ein Rätsel. Zwar gab es hier und da auf der Steppe kleinere Gehölze – versprengte Gruppen dürrer Bäume –, doch die Harten Menschen hätten Dutzende von ihnen roden müssen, um auch nur eine Seite der Festung zu schützen. Das Zittern des Bodens unter den Schritten der Rüsselschnauze erinnerte ihn schließlich daran, wie kräftig diese Bestien waren. Und nach allem, was er über die Harten Menschen wusste, waren sie zielstrebig genug, sich diese Kraft zunutze zu machen, um Holz aus fernen Wäldern in die Steppe zu schaffen. Auf dieselbe Weise mussten auch die grauen Steine hierhergekommen sein, aus denen die vier Ecktürme der Festung gebaut worden waren. Teriasch verstand sich darauf, Zeichen zu deuten, und er begriff sofort, was die Harten Menschen mit dieser Festung sagen wollten: Wir gehen hier nicht mehr weg.
Nachdem sich das Tor knarrend geöffnet hatte und den Blick auf den staubigen Innenhof der Festung freigab, brauchte Teriasch nicht lange, um zu erkennen, welches der flachen Steinhäuser dort für ihn und die anderen Gefangenen bestimmt war: der Bau mit den eisernen Gittern vor den schmalen Fenstern. Spuo wies eine Handvoll seiner Männer an, die Steppenbewohner an einem überdachten Brunnen trinken zu lassen. Aus einem anderen Steinhaus kam derweil ruhigen Schrittes eine Gestalt auf Spuo zu, deren bloße Existenz Dokescha zu einem erleichterten Aufatmen verleitete.
»Das ist eine Frau, oder?«
Teriasch nickte und wartete darauf, dass einer der Krüge, mit denen die Soldaten Wasser aus dem Brunnen schöpften, zu ihm wanderte. »Siehst du? Sie wollen dir kein Kind machen, du Schwarzseher.«
»Kustoda Amaris.« Spuo verneigte sich vor der hageren Frau, die wie alle Harten Menschen einen Panzer trug. Ihr roter Umhang wurde von zwei goldenen Fibeln gehalten, die die Form von Löwenpranken besaßen.
»Aukeps Spuo.« Amaris erwiderte die Verbeugung. »Wie ich sehe, hast du einen beachtlichen Fang gemacht. Verluste?«
»Keine.« Teriaschs Herz setzte einen Schlag aus, als Spuo mit dem Daumen in seine Richtung zeigte. »Aber der Barbar da drüben hätte um ein Haar Gurdus ertränkt.« Er klopfte grinsend auf die Waffe, die an seinen Oberschenkel geschnallt war. »Doch da waren ich und mein Rohr davor.«
»Dass du nie müde wirst, dein Rohr zu loben«, sagte Amaris kopfschüttelnd.
»Hier draußen hat ein Mann sonst nur wenig Freude«, verteidigte sich Spuo.
Amaris musterte Teriasch misstrauisch. »Ist er aufsässig?«
»Nein, nein. Er ist ganz folgsam.« Spuo beugte den Oberkörper vor, als würde er seiner Vorgesetzten einen unanständigen Witz erzählen. »Stell dir vor, er spricht unsere Sprache.«
»So? Wo hat er sie gelernt?«
Spuos Miene und die Art, wie er nun seinen Helm absetzte, um sich am Kopf zu kratzen, zeigten, dass er sich diese Frage selbst noch nicht gestellt hatte. »Von einem wagemutigen Völkerkundler? Es gibt bestimmt einige Verrückte, die sich zu den Barbaren aufgemacht haben, um ihre Gebräuche zu studieren. Ich könnte mir vorstellen, dass manche Wilde gerissen genug sind, diese verbockten Holzköpfe ordentlich über uns auszuhorchen, bevor sie ihnen die
Weitere Kostenlose Bücher