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Heldenzorn: Roman (German Edition)

Heldenzorn: Roman (German Edition)

Titel: Heldenzorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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folgte dem Lauf des Flusses eine Weile nach Norden, und während die Steppenbewohner furchtsame Blicke ans andere Ufer warfen, breitete sich unter den Harten Menschen eine spürbare Gelassenheit aus, weil sie ihrer Heimat nahe waren. Wie es dort aussah, war allerdings nicht zu erkennen: Am anderen Ufer erstreckte sich eine gewaltige Barriere in Form eines aufgeschütteten Erdwalls, den eine hohe Mauer aus knochenbleichem Stein krönte. In einem Abstand von so vielen Schritten, dass Teriasch sie nicht zu zählen vermochte, erhoben sich wuchtige Türme, und auf jedem dritten oder vierten von ihnen war ein gigantischer Pfahl aufgepflanzt, an den sich Flugechsen krallten. Gelegentlich zog ein kleiner Schwarm der Tiere krächzend seine Kreise am Himmel, und Teriasch meinte auch ab und zu, ganz schwach einen der Donnerlaute zu hören, wie ihn die Rüsselschnauzen von sich gaben. Hin und wieder waren auf der Mauer größere Gruppen von Soldaten zu erkennen, verwaschene Punkte in der Ferne, die man nur bemerkte, weil Sonnenstrahlen die Klingen ihrer Axtlanzen zum Gleißen brachten.
    »Was ist das?«, fragte Teriasch und hob die aneinandergeketteten Hände ein Stück in Richtung der Mauer. »Warum habt ihr das gebaut?«
    »Diese Mauer ist das, was euch dort hält, wo ihr hingehört«, antwortete Arka, der den Sinn der Frage nicht so recht zu verstehen schien. »Und es ist eines von den Dingen, die man für die Ewigkeit baut. Zum Ruhm seines Volkes.«
    »Diese Mauer wird nicht bis in alle Ewigkeit stehen.« Teriasch spannte die Rückenmuskeln an, um sich gegen einen barschen Stoß von Arkas Axtlanze zu wappnen. Doch der blieb aus.
    »Wieso nicht?«, wollte Arka stattdessen wissen.
    »Die Zeit ist wie eine große Herde«, zitierte Teriasch die Lehren der Ewigen Wanderin. »Sie zermalmt unter ihren Hufen alles, was ihr bei ihrem Lauf im Weg steht, und ihr Vorüberziehen lässt nur Staub zurück.«
    »Und wenn schon …« Arka zuckte mit den Schultern. »Was spielt das für eine Rolle, ob die Mauer in tausend Jahren nicht vielleicht doch niedergerissen wurde oder eingestürzt und zu Staub zerfallen ist? Wir beide – du und ich – sind doch bis dahin lange tot.«
    Als Teriasch schließlich die Brücke sah, die sich über den Aglala spannte, zweifelte er selbst an seinen Worten. Der Strom umspülte das Fundament von zwei Dutzend flachen Bögen, zu denen die Harten Menschen behauene Steine quer über das Flussbett aufgeschichtet hatten. Nein, nicht die Harten Menschen selbst. Wenn ich Arka richtig verstanden habe, sind es Sklaven, die solche Arbeiten verrichten. Löwenstatuen säumten die Brücke zu beiden Seiten. Sitzende Löwen, die klaffenden Mäuler zu einem stummen Brüllen aufgerissen. Zum Sprung geduckte Löwen, die fingerlangen Reißzähne in einem nicht minder stummen Knurren gefletscht. Ruhende Löwen, die die Häupter auf die vornehm übereinandergeschlagenen Pranken gelegt hatten. Alle waren derart lebensecht, dass Teriasch nicht ausschließen wollte, vor dem Ergebnis eines beeindruckenden Zaubers zu stehen. Kann es sein, dass die Harten Menschen eigene Geisterseher haben? Und dass sich einer von ihnen mit den verlogenen Geistern jenseits des Flusses verbündet hat, um diese Löwen allesamt von einem Augenblick zum anderen in Stein zu verwandeln?
    Als die Rüsselschnauze den Stein der Brücke unter sich spürte, schlug sie einen schnelleren Gang an, und ihr Lenker hinderte sie nicht daran. Beide – Mensch und Tier – konnten es wohl nicht mehr erwarten, in vertraute Gefilde zurückzukehren. Die Gefangenen hingegen setzten ihre Schritte wesentlich zögerlicher, und nicht nur Teriasch warf einen sehnsüchtigen Blick zurück.
    »Was ist los?«, fragte Arka.
    Teriasch blieb stehen. Ein eigentümliches Gefühl beschlich ihn: Das Band, das ihn mit seiner Sippe verknüpfte, war auf dem langen Marsch an den äußersten Rand der Steppe zu einem einzelnen dünnen Faden geworden. Jeder Schritt bis an diese eine Stelle auf der Brücke hatte die Hoffnung auf eine baldige Heimkehr weiter geschwächt. Und nun, nun befürchtete er, das Band könnte reißen und die Hoffnung endgültig sterben, wenn er auch nur einen Schritt weiter auf das Tor zuging, das sich dort zwischen zwei hohen Türmen für sie öffnete. »Ich habe Angst«, sagte er ehrlich.
    »Daran lässt sich nichts ändern«, erwiderte Arka überraschend sanft. »Aber du kommst mir eigentlich nicht wie ein Feigling vor, und ich will dich wirklich nicht an den Haaren durch

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