Heldin wider Willen
Esmay entspannte sich nicht; nach seinem Tonfall hätte er auch über ein Lehrbuch sprechen können, aber sie wusste nicht recht, ob er sie als Autorin des Lehrbuchs oder 276
dessen Stoff betrachtete. »Mich hat die Analyse Ihrer eigenen Irrtümer beeindruckt.«
Also der Lehrbuchfall eines Subalternoffiziers, der sich einen tapsigen Fehler geleistet hatte.
»Wie schlimm genau war dieser Navcomputer beschädigt?«
Eine sachliche Frage, die sie auch beantworten konnte. »Er hat direkten Beschuss eingesteckt – wir haben Ersatzteile aus dem Lager eingebaut, blieben aber mit den Mikrosprungfunktionen auf unter 20 Prozent der normalen
Funktionalität.«
Einer der anderen Offiziere meldete sich zu Wort. »Hätten Sie nicht Bauteile aus der Geschützsteuertafel benutzen können?
Falls ich mich recht erinnere, besteht bei einigen Teilen eine Duplizität.«
»Ja, Sir, die besteht. Wir wollten aber keine Verzögerungen bei der Zielerfassung riskieren oder bei der Berechnung von Schussmustern.«
»Hmm. Also haben Sie Kurzsprünge mit einem fehlerhaften
System durchgeführt… Ein bisschen riskant, nicht wahr?«
Esmay hob kurz die Schultern. »Ein wenig riskant, ja, Sir.«
Damals war es erschreckend gewesen, weil der Fehlerspielraum immer größer wurde und sie sich den Weg von einem Sprung bis zum nächsten förmlich ertasten musste. Und der Instinkt war, wie man ihr gründlich beigebracht hatte, ein mieser Navigationsführer im Weltraum.
»Als ich den Bericht des Untersuchungsausschusses las«,
sagte Atarin, »ist mir nicht aufgefallen, dass er die Schwie-277
rigkeiten mit dem Navcomputer gewürdigt hätte. Ich vermute, dass Sie sie aber erwähnt haben.«
»Es stand im Bericht, Sir«, sagte Esmay. Sie hatte sich nicht über diese Schwierigkeiten ausgelassen; es hätte bedeutet, zu jammern und Ausflüchte zu machen.
»Ja. Nun, Lieutenant Suiza, ich denke, Sie sollten mit einer Einladung zur taktischen Diskussionsgruppe der Führungsoffiziere rechnen. Mir ist völlig klar, dass Sie keine führende Analytikerin sind – aber ich bezweifle, dass wir der Versuchung widerstehen können, einen Bericht aus erster Hand über ein so … erstaunliches … Gefecht zu erhalten.«
»Ja, Sir.«
»Und vielleicht möchten Sie die Orientierung Ihrer achten Illustration überprüfen … Ich denke, Sie haben die Achsen um neunzig Grad gedreht… es sei denn, es gäbe einen Grund dafür.«
»Ja, Sir.«
Atarin nickte ihr noch einmal zu und führte die übrigen
Offiziere hinaus. Esmay war danach, ermattet auf einen der Sitzplätze zu plumpsen, aber Dettin warf einen forschenden Blick in den Raum und hoffte offensichtlich auf ein Schwätzchen.
*
»Also denken Sie nicht, dass sie die Ensigns zu irgendeiner …
nicht wünschenswerten Aktivität aufstachelt?« »Nein, Sir. Sie 278
wissen doch, wie Ensigns sind: Sie stürzen sich auf jeden, der über echte Erfahrungen reden kann. Sie lieben blutrünstige Geschichten, und auf so eine hatten sie auch hier gehofft.
Stattdessen hat sie ihnen jedoch einen vollkommen sachlichen Vortrag von einem an und für sich spannenden Vorfall gehalten und ihn so wenig aufregend wie nur möglich gestaltet. Keinerlei Eigenlob und auch kein Versuch, Commander Serrano zu romantisieren. Ich habe sie aufgefordert, auch vor der taktischen Diskussionsgruppe der ranghöheren Offiziere zu reden; man wird ihr dort intelligentere Fragen stellen, aber ich vermute, sie kann sie ebenfalls beantworten.«
»Ich möchte aus ihr keine Heldin machen«, wandte Admiral Dossignal ein. »Das würde nur unseren empfindlichen Captain reizen. Zu viel Aufmerksamkeit…«
»Sir, mit allem gebührenden Respekt, aber sie ist eine Heldin.
Um Aufmerksamkeit hat sie dabei nicht gebuhlt; ihrer Akte zufolge hat sie das nie getan. Aber sie hat Serranos Schiff – und Xavier – gerettet, und wir können nicht so tun, als wäre das nicht geschehen. Wenn wir ihr ermöglichen, darüber auf professionelle Weise zu diskutieren, ist das die beste
Möglichkeit, um zu gewährleisten, dass es zu keinem
unprofessionellen Gesprächsstoff wird.«
»Ich denke auch. Wann wird sie den Vortrag halten? Ich
möchte gern dabei sein.«
»Beim übernächsten Treffen. Beim nächsten Mal steht die
verlangte Lektion im Rahmen der ständigen Fortbildung auf dem Programm.«
*
279
Als Esmay sich am folgenden Tag zum Dienst meldete, sagte Major Pitak: »Wie ich höre, haben Sie einen interessanten Abend erlebt. Wie fühlt man sich, wenn man
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