Heldin wider Willen
dort auf. Sie und ihr Besatzungsmitglied –töteten sie.«
»Auf der Stelle? Sie meinen, sie haben nicht versucht, sie erst zu überreden?«
Esmay überließ dem allgemeinen Schweigen die Antwort, das ebenso verächtlich war wie ihre eigene Haltung. Als sich dann Unruhe ausbreitete, stoppte sie sie mit den Worten: »Wenn sich jemand zum Verrat entschlossen hat – wenn er ein Schiff kommandiert und plant, hilflose Zivilisten dem Feind
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auszuliefern … Ich bezweifle, dass irgendeine Moralpredigt ihn stoppen würde. Commander Serrano traf eine Kommando-entscheidung; sie eliminierte die ranghöchsten Verschwörer auf dem schnellsten Weg. Selbst so war es nicht einfach.«
Esmay schaltete auf neue Displays um. »Nun … Kommandantin Hearne führte die Despite mit mir und der restlichen Besatzung aus dem Xavier-System. Unser Erster Offizier war ebenfalls beteiligt, aber der im Rang auf ihn folgende Offizier war loyal und hielt sich außerdem auf der Brücke auf, wo er Commander Serranos Funkspruch hörte, mit dem sie Kommandantin Hearne aufforderte, auf ihren Posten
zurückzukehren und bei der Verteidigung von Xavier zu helfen.
Dieser Mann startete die Meuterei, indem er sich an die
Brückenbesatzung wandte …« Sie brach ab, überflutet von
Erinnerungen an das, was in den darauf folgenden Stunden geschehen war. Die widersprüchlichen Befehle, die über die schiffsinternen Kommunikationswege verbreitet wurden, die totale Verwirrung, die – im Rückblick unerklärlich wirkende –Zeit, die die Loyalisten brauchten, um einzusehen, dass sie meutern und tödliche Gewalt gegen ihre Schiffskameraden einsetzen mussten.
»Unter taktischen Gesichtspunkten«, sagte sie und verdrängte all diese Gedanken, »sah sich Commander Serrano mit einer sehr schwierigen Lage konfrontiert. Fast zeitgleich zur Übernahme der Befehlsgewalt durch sie traf die Streitmacht der Benignität ein. Hätte Serrano nur ein paar Stunden länger gewartet, wäre es unmöglich geworden, noch etwas zu unternehmen. Die Streitmacht der Benignität …« Esmay umriss deren Größe und Schlagkraft und erinnerte das Publikum an die übliche Taktik von Angriffstruppen der Benignität. Jetzt, wo 272
Esmay Entscheidungen und Aktionen schilderte, die sie nicht persönlich miterlebt hatte, fiel es ihr leichter, ruhig und logisch zu sein. Dieses Schiff hier, dieses andere dort, erwartete und unerwartete Manöver… Resultate, ordentlich tabellarisiert, ohne Bezug zu den Menschen, deren Leben gerade für immer ver-
ändert worden war.
Allzu schnell musste sie jedoch auf eigene Erfahrungen
zurückkommen. Sie übersprang die Schlacht an Bord der
Despite um das Kommando über das Schiff. Sie hatte das schon für das Gericht zu oft nacherlebt, um es jetzt für diese Grünschnäbel erneut zu tun. Allerdings mussten sie erfahren, wie der Kampf ausgegangen war, einschließlich der Fehler, die Esmay gemacht hatte.
»Wir sind zu schnell ins System hineingefahren«, sagte sie und spielte eine weitere Aufnahme ab. »Meine Sorge war, wir könnten zu spät kommen, und ich ging davon aus, dass jedes mögliche Abwehrsperrfeuer ausreichend verteilt sein würde.
Wie Sie wissen, ist es äußerst schwierig, den realen Zeitablauf bei mehreren Überlichtsprüngen zu berechnen – aber der Fehlerspielraum ist normalerweise negativ, nicht positiv. Wie es sich traf, gelang es uns, sicher ins System zu springen und einen Kurzsprung hierher durchzuführen …« Sie deutete auf die Position. »Allerdings ohne ausreichend Restgeschwindigkeit abzubauen. Wir hatten zu wenig Leute an Bord sowie einige Schäden an den Navcomputern, weshalb ich keine schnellen Werte für einen Mikrosprung erhielt, der uns den richtigen Anflugswinkel verschafft hätte. Und so … sind wir an Xavier vorbeigerast, und in dieser Zeit erlitt die Paradox tödliche Schäden.« Mehr als achtzehnhundert Tote. Ihre Schuld. Im Krieg gab es keinen Spielraum für Fehler. Sie erinnerte sich an 273
die verzweifelte Hast auf der eigenen Brücke, das Bemühen ihrer Besatzungsmitglieder, das Schiff wieder unter Kontrolle zu bekommen, Sprungdaten zu errechnen, die sie rechtzeitig zurückführten, um noch etwas zu bewirken.
»Wir erhielten die Sprungdaten«, fuhr sie fort und ließ das Drumherum weg, jenen Augenblick, in dem sie sich entscheiden musste, ob sie die Daten so akzeptierte, ob sie das Risiko einging oder nicht. Das Risiko war beträchtlich gewesen –dieser sehr unorthodoxe Sprung brachte eine
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