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HelHeg-AxoRoa

HelHeg-AxoRoa

Titel: HelHeg-AxoRoa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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von dem heutigen Tag an unter gesellschaftlichen Gesichtspunkten vier Stufen über mir zu stehen. Sie war ein Jahr älter und leider zwanzig Jahre zurückgebliebener als ich. In ihrem Zimmer malten wir abwechselnd mit extra dafür vorgesehenen Fensterbildermalfarben Fensterbilder (Ponys, Weihnachtsmänner, Shetlandponys) und lasen in der Bravo Leserbriefe von fünfzehnjährigen Mädchen, denen beim Sex das Kondom irgendwo im Gebärmutterhals stecken geblieben war.
    Charlene: »Meine Mutter ist so krass durchgedreht, als sie gesehen hat, dass du mir diese CD von Marilyn Manson geschenkt hast, und dann hat sie mir die weggenommen.«
    »Hat sie gesagt, warum?«
    »Sie hat gesagt, dass das scheiße ist und dass das außerdem eine Coverversion ist und dass diese Coverversion nicht so gut ist wie die Version von dem, der das früher gesungen hat.«
    »Das stimmt ja eigentlich auch.«
    »Ey, hallo? Der Typ, der das früher gesungen hat, hat das vor dreihundert Jahren gesungen, das ist doch krass uncool.« »Nein, Charlene, das ist viel cooler.« »Das ist krass uncool, Mann.«
    Wir hörten gerade eine Hörspielkassette über zwei Mädchen, die gerne voltigieren, als Charlenes Mutter an die Tür klopfte. Um mir irgendwas zu demonstrieren, lobte sie Charlene ausdrücklich dafür, dass ihr Schlafanzug mit hochgekrempelten Hosenbeinen echt cool aussähe und überhaupt. Zu mir sagte sie: »Mifti, kommst du kurz mit nach draußen?«
    Sie sah mich erst wieder an, als ich feststellte, dass vor unserem Haus ein Krankenwagen und zwei Polizeiautos standen. Die Haustür war offen, und ich stampfte pseudogefasst durch das Treppenhaus, und die Wohnungstür war auch offen, und kurz bevor ich die Wohnung betrat, schlug mir der Geruch von vierzig Zentnern Kotze und Scheiße entgegen. Alles war vollgekotzt, überall wo ich hinsah, triumphierte irgendeine Kotzlache über den Sieg gegen uns.
    Als Erstes fiel mir auf, dass meine Kinderbilder von den Wänden gerissen worden waren, der Elefant im Gras. Danach sah ich, dass unsere komplette Inneneinrichtung mittlerweile nur noch aus trostlos in der Gegend herumliegenden Stücken europäischen Wildkirschholzes bestand, über die man nicht mal mehr hätte sagen können, ob sie früher Teil meines Regals oder meines Schreibtischelements gewesen waren. Der Ort, an dem ich mich aufhielt, bestand ausschließlich aus ineinander zerlaufenden Grauabstufungen. In ihrem Zimmer versuchten sechs verschiedenfarbig uniformierte Personen meine Mutter in ihrer Gewalttätigkeit einzuschränken. Sie biss und kratzte und schlug und schrie lauter, als ich je jemanden hatte schreien hören. Es war absolut unmenschlich und ekelhaft. Aus einer Hand, ich wusste nicht zu wem sie gehörte, strömte Blut. Ich stellte mich in den Türrahmen. Sie sah mich, bevor mich irgendjemand anderes sah und verstummte. Ich huschte aus ihrer Sichtweite.
    Sie schrie: »Mifti!«
    Noch bevor ich die Wohnung verlassen konnte, kam sie aus ihrem Zimmer gestolpert und blieb regungslos vor mir stehen. Sie trug einen königsblauen Polyesterpullover und eine dreckige Unterhose, die so weit runtergerutscht war, dass jeder Anwesende unausweichlich mit ihren Schamhaaren konfrontiert wurde. Sie stand kurz vor einem Tod durch Verhungern. Ihre Haare klebten an ihrem Kopf und ihre Mundwinkel bluteten. Alle an dieser Situation beteiligten Fremden sahen zu meinem großen Leidwesen noch beschissener aus als meine Mutter, obwohl sie im Gegensatz zu ihr nüchtern und geduscht waren. »Mifti«, sagte sie noch mal.
    »Sind Sie Mifti? Sie hat die ganze Zeit nach Ihnen gerufen.« »Warum siezen Sie mich? Ich bin erst zehn.«
    Mit diesem Satz rannte ich nach unten. Frau Kaplitz-Pittkowski röchelte: »Weinst du jetzt? Ey, Mifti, nicht weinen!«
    Sie nahm mich in den Arm. Ich wehrte mich nicht, weil ihr meine Widerborstigkeit einen zu großen Einblick in mein Innenleben verschafft hätte. Ich hasste sie. Ich hasste meinen Vater, weil er sie angerufen hatte.
    »Passiert so was öfter?«
    »Natürlich nicht.«
    Was übrig blieb, war ein Muskelbündelriss im linken Oberschenkel und ein Sehnenanriss, der eigentlich hätte operiert werden müssen. Meine Mutter schenkte mir zwei Tage später kommentarlos einen Schlüssel und einen Goldfisch aus Metall als Schlüsselanhänger. Sonst passierte nichts.
    3 Uhr 20. Auf meiner Haut zerstiebt eine Kälte, die nicht natürlich sein und nur durch die Energie einer beim Urknall erzeugten, kosmischen Hintergrundstrahlung entstanden

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